Was ist Macht und wie gehen wir damit um?

Ohne ein Wörterbuch aufzuschlagen, haben wir zunächst folgende Definition erarbeitet: Macht ist die Möglichkeit, andern vorzuschreiben, was sie sind und haben (und was nicht), oder was sie glauben, denken, sagen, tun sollen oder dürfen (und was nicht).

P. Z. – Aurora Humanitatis, Zürich (Schweizer Freimaurer-Rundschau: Dezember 2010)

M acht wird ausgeübt durch Individuen oder Körperschaften in vier verschiedenen Bereichen: Im gesellschaftlichen, im tätigen, im ideellen Bereich, sowie in den zwischenmenschlichen Beziehungen. Im Gesellschafts- Bereich ist Macht als sozio-politische Organisation eine Notwendigkeit, ohne die eine menschliche Gesellschaft nicht existieren kann. Es gibt zwar immer wieder Anarchisten, die das nicht einsehen; sie sind aber so blind, dass sie nicht einmal bemerken, dass sie selber Macht ausüben wollen. – Wir haben uns hier nicht aufgehalten, die Entwicklung dieser Organisation von Monokratie über Aristokratie zur Demokratie ist in allen Geschichtsbüchern nachzulesen.

Im Tätigkeits-Bereich ist ebenfalls nicht ohne Strukturen auszukommen, seit die Menschheit Arbeitsteilung kennt. Beeren und Wurzeln sammeln konnte jeder allein, aber um Mammuts zu jagen bedurfte es schon eines Jägertrupps mit Befehlsstruktur. Dass heutzutage auch die kleinste Arbeitseinheit einen Machthaber braucht, um effizient zu sein ist sogar den Anarchisten klar. Das gilt natürlich in noch stärkerem Masse für eine Kampftruppe; aber auch ein Freizeit- Verein braucht einen Vorstand.

Im Ideen-Bereich hingegen wird die Frage der Macht sehr akut und problematisch. Sowohl in der Konzeption der Ideen, sei es Philosophie, Religion oder Ästhetik, wie auch in ihrer Kommunikation, sollte im Idealfall Freiheit des Individuums herrschen. Tut es aber fast nie, weil das eine Reife und Mündigkeit, eine Toleranz und Weisheit des Einzelnen erfordert, die man in der Praxis sehr selten antrifft. Die allermeisten Menschen brauchen noch in irgend einem Masse einen „maître à penser“. Besonders wir Freimaurer streben ja nach dieser Reife und Weisheit, aber wir sind ja doch alle noch Lehrlinge in diesem vergänglichen Orient. Wir geben daher im Bereich der Ideen-Konzeption noch einen Teil unserer Eigen-Macht ab an einen Lehrmeister, an eine kirchliche oder politische Organisation, an eine Geschmacks-Richtung oder an die Mode. Immerhin versuchen wir aber im Bereich der Ideen-Kommunikation tolerant zu sein und versuchen nicht, ideelle Macht auszuüben. Oder ist etwa Beeinflussung durch Überzeugung auch schon Machtausübung ? Wo ist da die Grenze ? Hier leitet der Ideen-Bereich über zum Beziehungs-Bereich.

Im Beziehungs-Bereich ist aber die Frage der Macht und des Umgangs mit ihr am subtilsten und am schwierigsten zu deuten. Es gibt wohl keine zwischenmenschlichen Beziehungen, in denen gar keine Machtfragen mitspielen. Die Tatsache, dass dies fast immer sich im Unterbewusstsein abspielt, macht die Sache noch schwieriger und komplizierter. Wer gibt sich schon Rechenschaft, ja: wer will es überhaupt wahr haben, dass in seiner Liebes- und Partnerschaftsbeziehung unbewusste Machtspiele existieren? Wo immer zwei oder mehrere Menschen zu einander in Beziehung treten, gibt es bewusstes oder unbewusstes Streben nach Vorrang, nach Einfluss, nach Geltung – also Macht. Auch in den Logen ist es so, obschon wir natürlich an unseren Steinen arbeiten, um möglichst tolerant und brüderlich zu sein. Aber was soll es denn anderes bedeuten, wenn es wieder mal heisst „es mänschelet halt au bi eus“ ?

Auch Brüder möchten halt Aufseher, Stuhlmeister, oder Grossbeamte werden. Vordergründig, im Bewusstsein, natürlich um der Loge zu dienen. Aber im Unbewussten? Spielt da die Geltung, der persönliche Einfluss, die Möglichkeit das Sagen zu haben gar keine Rolle? – Wir können, solange wir in dieser Welt sind, unsere menschliche Psyche und ihre Mechanismen nicht ablegen. Sie wurde vom ABAW so geschaffen, und wir sind mit ihr in diese Welt gesandt, um zu lernen und zu üben, sie zu läutern und zu veredeln. Unsere Psyche weist noch Restanzen aus dem Tierreich auf, derer es gilt sich bewusst zu werden, sie zu beherrschen, um uns darüber zu erheben. Wir haben die Freimaurerei gewählt, um uns zu helfen dies zu tun. Sie erweist sich als genau die richtige Schule!