Rigoros oder liberal? Regularität heute

Regularität und Anerkennung sind Themen, die viele Freimaurer umtreiben. Mancher Bruder vermag nicht einzusehen, warum es eines solchen Regulativs bedarf. Sind wir nicht alle am Bau des Salomonischen Tempels beschäftigt, der Menschen zusammenführen soll, und nicht am Errichten von Mauern, die freimaurerische Organisationen voneinander trennen?

Br∴ M. G., alt-Stuhlmeister, 2002–2006 Grossaufseher SGLA, L∴ In Labore Virtus i∴ O∴ Zürich

So einfach ist die Sache leider nicht. Die Begriffe «Freimaurerei » und «Loge» sind nicht gesetzlich geschützt. Jeder, der ein paar Getreue um sich versammelt, kann einen Verein gründen und ihn als «Loge» bezeichnen. In diesem Fall des Aussenverhältnisses ist die Notwendigkeit einer Abgrenzung offensichtlich. Dass auch innerhalb der Freimaurerei im Verhältnis der Grosslogen untereinander eine Abgrenzung erforderlich sein kann, ist eine Folge der geschichtlichen Entwicklung unseres Bundes, und die Freimaurerei ist immer ein Spiegelbild der Gesellschaft, in der sie wirkt.

Beispiel Frankreich

Über drei Jahrhunderte hat sich die Weltfreimaurerei zu einem bunten Kaleidoskop unterschiedlichster Ausprägung entwickelt. Das Spektrum reicht von einem humanistischen Kampfbund in den romanischen Ländern bis hin zum christlichen Orden im hohen Norden, von mystischen Gemeinschaften, die sich ebenfalls als Freimaurer betrachten, ganz zu schweigen. Dass es hier eine regelnde Instanz braucht, ist nicht zu bezweifeln. Die United Grand Lodge of England (UGLE) hat sich diese Aufgabe zu eigen gemacht und mit einer Rigorosität durchgeführt, die nicht immer das Gefallen liberaler Kräfte innerhalb der Weltbruderkette fand.

Heute gelten die von der UGLE 1989 neu gefassten Basic Principles for Grand Lodge Recognition (sh. den Beitrag von T. M., S. 45). Obwohl die UGLE das Korsett nun nicht mehr so eng geschnürt hat, bleiben noch genug Ausschlusskriterien bei der Anerkennung anderer Obödienzen. Nehmen wir Frankreich als Beispiel. Der Grand Orient de France (GO) als grösste freimaurerische Obödienz in Frankreich fällt gleich in mehrfacher Hinsicht durch den Raster. Einmal geht es um die Bibel, die in den Tempeln des GO nicht mehr aufgelegt wird, zum anderen um das aktive politische Engagement dieser Grossloge, besonders in ihrem Verständnis als Hüterin der Laizität.

Auch der Grande Loge de France (GLdF) versagt die UGLE ihre Anerkennung. Hier geht es um ein Abhängigkeitsverhältnis der GLdF vom Hochgrad (AASR) und um den Freundschaftsvertrag, den die GLdF mit dem GO abgeschlossen hat. Der Droit Humain (DH) ist eine weitgehend regulär arbeitende Grossloge mit langer Tradition, umfasst aber beide Geschlechter, was eine Anerkennung ausschliesst. Als regulär und anerkannt gilt lediglich die Grande Loge Nationale Française (GLNF). Nachdem sie jahrzehntelang ein Schattendasein geführt hatte, ist sie in den letzten zwanzig Jahren zur zweitgrössten Obödienz nach dem GO aufgestiegen.

Die Deklaration von Basel

Das schnelle Wachstum führte zu Missständen sowie zur Suspendierung und später zum Widerruf der Anerkennung durch fünf Grosslogen in benachbarten Ländern. Mit der Deklaration von Basel ergriffen diese 2012 die Initiative, die GLdF zum Zentrum einer Allianz aller regulär arbeitenden Freimaurer Frankreichs werden zu lassen. Dass dieser Prozess eine Weile in Anspruch nehmen würde, war von vornherein absehbar. Jedoch führte die GLNF unter neuer Leitung tiefgreifende Reformen durch, so dass die UGLE, die die Anerkennung lediglich suspendiert hatte, keine Veranlassung sah, diese Massnahme aufrecht zu erhalten.

So ist die GLNF nach wie vor die einzige anerkannte freimaurerische Behörde in Frankreich, und die Initiative von Basel wurde hinfällig, was man bedauern kann. Ein positiver Effekt: Unter ihrem Reform- Grossmeister Br∴ Jean-Pierre Servel hat sich die GLNF aus der totalen Abschottung gegenüber anderen freimaurerischen Körperschaften in Frankreich herausbegeben und nimmt nun auch an bestimmten gemeinsamen Anlässen teil.

Mit dem damaligen Grossmeister des GO, Br∴ Daniel Keller, hat Servel die Öffentlichkeit über Gemeinsames und Trennendes der beiden Obödienzen informiert. Dies ist ein wichtiger Schritt zur Versachlichung der Unterschiede in Frankreich. Für uns in der Schweiz, vor allem für die Brüder in den westlichen Grenzregionen, ist es ein Bedürfnis, geregelte Beziehungen, die ein gegenseitiges Besuchsrecht gewährleisten, zu den Freimaurer-Brüdern in Frankreich zu unterhalten.

Prinzipien geraten ins Wanken

Die UGLE ist in Anerkennungsfragen längst nicht mehr der Masstab aller Dinge. Die Grosslogen sind auch in dieser Hinsicht autonom. So wird die Grand Lodge of Greece u.a. von der UGLE, der SGLA und den Vereinigten Grosslogen von Deutschland (VGLvD) anerkannt, während sich die Grosslogen von Schottland und Irland einer Abspaltung, der National Grand Lodge of Greece, zugewandt haben. Bevor die SGLA Beziehungen zu einer Grossloge aufnimmt, prüft sie die Umstände gewissenhaft und misst sie an den Leitlinien der «Fünf Punkte von Winterthur» (1949). Das Dossier wird im Grossbeamtenkollegium erörtert und der Abgeordnetenversammlung zur Abstimmung vorgelegt. Die gegenseitige Anerkennung mündet in den Austausch von Freundschaftsbürgen.

Ein weiterer Grundsatz der UGLE war es, in jedem Land nur eine einzige Grossloge anzuerkennen. Auf diese Weise sind die VGLvD (man beachte den Plural!) zustande gekommen. Sie setzen sich zusammen aus fünf sonst autonomen Grosslogen, die ihre Aussenbeziehungen an diese Dachorganisation delegiert haben. Aber auch dieses Prinzip ist ins Wanken geraten und hält nicht mehr den Realitäten stand. Inzwischen anerkennt die UGLE in Kanada und den USA die meisten Prince-Hall-Grosslogen, in denen afroamerikanische Brüder arbeiten und in den einzelnen Gliedstaaten parallel zu den etablierten Grosslogen organisiert sind.

Das Wort der UGLE wird, wenn es um Regularität und Anerkennung geht, auch in Zukunft Gehör finden. Die Verantwortung, wie im Einzelfall zu verfahren ist, liegt indessen bei jeder Grossloge selbst. Auch unterhalb der Schwelle des offiziellen Besuchsrechts gibt es genügend Freiraum für die Zusammenarbeit aller freimaurerischen Kräfte, die es angesichts der Herausforderungen unserer Zeit zum Wohl der Gesellschaft zu nutzen gilt.