Eine Göttin im Wandel der Zeiten

Isis kennt man von Mozarts «Zauberflöte» her. Doch das ist nur ein Beispiel unter vielen, wie die ägyptische Göttin über dreieinhalb Jahrtausende in die Kulturgeschichte eingegangen ist. Antike, Renaissance und Barock sind ebenso Stationen wie Klassik und Romantik. Gerade im 19. Jh. besinnt sich auch die Freimaurerei im Rahmen einer wahren «Ägyptomanie» auf die Schwester des Osiris zurück.

Der 24 Meter lange «»Anti- Papyrus», ein thebanisches Totenbuch aus dem 15. Jh. v. Chr., schildert den Mythos von der Ermordung und Wiederauferstehung des Osiris, in dem Isis eine zentrale Rolle spielt. Der Topos begegnet zu späterer Zeit in mannigfacher Form. So tradiert ihn Herodot (5. Jh. v. Chr.), und Plutarch (1./2. Jh. n. Chr.) wie auch Apuleius (2. Jh. n. Chr.) greifen den Stoff auf. Im elften Buch seiner «Metamorphosen» bzw. des «Goldenen Esels» geht dieser u. a. auf die Mysterien der Isis ein (sh. Link zum Text von Br. C. M.).

Interkulturelle Bezüge

In späteren Darstellungen der Isis mit dem Horusknaben, genannt Isis lactans («Stillende Isis»), kann man eine Verwandtschaft mit Darstellungen Marias mit dem Jesuskind sehen. Das ist nur ein Beispiel dafür, mit welchen kulturgeschichtlichen Elementen Isis in Verbindung gebracht worden ist. Der Renaissance- Papst Alexander VI. (15./16. Jh.) liess im vatikanischen Borgia-Zimmer ein Fresko malen, auf dem u. a. Hermes Trismegistos, Moses und Iris abgebildet sind – alles kulturstiftende Gestalten, die einen direkten Zusammenhang mit Ägypten haben.

1527 gelangte eine Bronzeplatte mit Isis und anderen ägyptischen Göttern in den Besitz des italienischen Humanisten Pietro Bembo. In dieser «Tabula Bembina» sahen Okkultisten des 19. Jh. einen Schlüssel zum Tarot. Zur gleichen Zeit begegnete die Auffassung, ein Isispriester habe die Tafel erschaffen und sie berge kosmogonische und astrologische Geheimnisse.

Geht man ins 17. Jh., so stellte der deutsche Jesuit und Universalgelehrte Anastasius Kircher Isis mit den griechischen bzw. römischen Göttinnen des Ackerbaus und der Fruchtbarkeit, Demeter und Ceres, gleich. Sie geht mit einem Wassergefäss über die Felder und sorgt für eine gute Ernte.

Von Plato bis zu Alexander von Humboldt

Die auf Plato (5./4. Jh. v. Chr.) zurückgehende Vorstellung der Seelenverwandtschaft betrifft auch Isis und Osiris. Im «Symposion» spricht der Philosoph davon, dass die menschlichen Seelen zunächst Kugeln gewesen seien und nach ihrer gewaltsamen Trennung wieder nach Er-Gänzung strebten. Von Pyramus und Thisbe über Romeo und Julia bis zu Thomas Manns «Tristan» lässt sich dieser Gedanke zurückverfolgen.

Philosophisch-literarisch wurde das Isis-Motiv auch im späten 18. und frühen 19. Jh. aufgegriffen. Die verschleierte Göttin steht hier für die unfassbare Natur, und die Wissenschaft versucht sie zu entschleiern. Alexander von Humboldt, Schiller und Kant wie auch Goethe und Novalis haben sich mit diesem Topos auseinandergesetzt.

Ägyptens Wiedererstehung

Der Ägyptologe Jan Assmann weist auf eine Unsicherheit hin, die bis heute nicht hat beseitigt werden können: Sind die Mysterien authentisch- ägyptisch, oder folgen sie einer griechischen Projektion und Konstruktion? Wie auch immer: Ihre Wirkung ist enorm.

Das liegt u. a. an der Bedeutung, die Ägypten beigemessen wurde. Im «Corpus Hermeticum» (100–300 n. Chr.) sagt Hermes Trismegistos zu Asklepius: «Wahrlich, unser Land (Ägypten) ist der Tempel des ganzen Kosmos.» Freimaurer des 19. Jh. teilten diese Ansicht, ja es kam gar zu einer wahren «Ägyptomanie » (Jan A. M. Snoeck). Diese war u. a. auf Napoleons Ägyptenfeldzug 1798–1801 zurückzuführen. 1798 gründete General Kleber in Ägypten die Militärloge «Isis». In Frankreich und anderen Ländern entstanden Freimaurertempel in ägyptischem Stil. Zoroaster und Pythagoras wurden mit Ägypten in Verbindung gebracht. Der bekannte Bruder Andreas Michael Ramsay veröffentlichte seinen Roman «Cyrus», in dem der Protagonist in Ägypten in die Lehre des Hermes Trismegistos eingeweiht wird. Und in seiner «Geschichte der Freimaurerei» führte James Anderson die Königliche Kunst auf das alte Ägypten zurück. Das hatte mit Historie weniger zu tun als mit einer gewissen Mythologie. Das Muster «je älter, desto wahrer» griff auch hier. Der Memphis- und der Misraim- Ritus wurden gegründet, und der Scharlatan Cagliostro erschuf eine «Ägyptische Freimaurerei».

Wie beurteilt man heute die Verbindung von Königlicher Kunst und Ägypten? Auf wissenschaftlicher Basis immerhin weit nüchterner. Doch werden auch in der Gegenwart Jahrtausende alte kulturgeschichtliche Bezüge aufgezeigt, so geschehen 2017 im Museum Kestner in Hannover und im Zürcher Museum Rietberg. Ganz von Isis Abschied zu nehmen wäre wohl falsch. T. M.