Den Einkauf zum Erlebnis machen

Das Brockenhaus: eine Ansammlung verstaubter Ladenhüter? Mitnichten! Das Zürcher Brockenhaus hinter dem Hauptbahnhof ist eines der ältesten seiner Art in der Schweiz. Das Zeitalter des digitalen Detailhandels erfordert Massnahmen. Dass solche mit einer Mischung von Kreativität, Zahlenfestigkeit und masonischem Wirken möglich sind, beweist ein Gespräch vor Ort mit dem Präsidenten des zuständigen Vereins, Br∴∴ E. S.

Lieber Br∴ E., wie müssen wir uns die Gründung des Zürcher Brockenhauses vorstellen?

Br∴ E. S.: Der Verein Zürcher Brockenhaus wurde 1904 gegründet. Der Zürcher Kaufmann Dr. h. c. Arnold Scherrer hatte dazu die Initiative ergriffen. 29 Persönlichkeiten fanden sich im Zunfthaus zur Schmidstube in Zürich ein. Die Aufstellung des neunköpfigen Vorstands war eine Pioniertat: Er umfasste einen reformierten und einen katholischen Pfarrer sowie den Rabbiner der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich. Die restlichen Mitglieder waren allesamt Brüder der Zürcher Loge «Modestia cum Libertate“. Diese Bauhütte stellte dem Brockenhaus die Liegenschaft an der Pfalzgasse 6, unterhalb des Lindenhofs, zur Verfügung. Sie hatte auch mehrheitlich die Mittel eingebracht. Das Brockenhaus war eines der ersten seiner Art in der Schweiz.

Was waren dann die wichtigsten Etappen in der Geschichte des Zürcher Brockenhauses?

1933 konnte der Verein hinter dem Zürcher Hauptbahnhof, an der Neugasse 11, für 300‘000 Franken ein Lagerhaus kaufen. 1993 wurde das Gebäude vollständig renoviert, und es kam zu einer Aufteilung Stiftung, der das Haus gehört, und dem Verein, der für den Betrieb zuständig ist und der Stiftung jährlich eine angemessene Miete zahlt. In beiden Gremien haben bis heute je ein Vertreter der katholischen bzw. reformierten Kirche sowie ein Repräsentant der Israelitischen Cultusgemeinde Einsitz. Die Mehrheit der Gremienmitglieder sind auch heute noch Freimaurer. Wegen der Neugestaltung des Zollstrassenareals mussten wir das Warenlager 2016 nach Bachenbülach verlegen.

Wie ist der Stand heute?

Wir schreiben mit 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einen Jahresumsatz von rund 2.5 Mio. Franken. Wie erwähnt gehen davon etwa 10 % an die Stiftung Brockenhaus. Verein und Stiftung bauen gemeinsam an der Zukunft des Zürcher Brockenhauses. Damit sind wir in der heutigen Situation handlungsfähig. Da ist zum einen der Detailhandel, der im Zeitalter des Internets unter grossen Druck gerät. Zum anderen werden uns die Bauarbeiten an der benachbarten Zollstrasse noch für längere Zeit behindern. Positiv ist, dass das Quartier in seiner neuen Form entschieden aufgewertet sein wird.

Mit welchen Strategien reagiert ihr auf diese Situation?

Unter dem Titel «Weg in die Zukunft » haben wir diesen September ein Projekt lanciert, in dem wir unsere Geschäftsbereiche an die Marktentwicklung anpassen wollen. Es geht um die Erhöhung der Ertragskraft und Einhaltung der wirtschaftlichen Unabhängigkeit, die Erhöhung der Attraktivität mittels der «Erlebniswelt Neugasse» und die Überbrückung und Nutzung des Zeitfensters, das mit den Bauarbeiten an der Zollstrasse verbunden ist.

Verein und Stiftung bauen gemeinsam an der Zukunft des Zürcher Brockenhauses

In einem Kreativ-Workshop haben Verein, Stiftung und Mitarbeiter gemeinsam entsprechende Massnahmen zusammengetragen, so die Einrichtung von Pop-up-Shops, Shopin- the-Shop-Modelle oder Events für Externe. Es gilt die Leute ins Brockenhaus zu holen. Dazu dienen z. B. Weinmessen. Wir verfügen auch über eine wunderbare Terrasse, die wir im neugestalteten Quartier zu einem Publikumsmagneten machen wollen. Zeitlich sind die Teilprojekte auf die folgenden fünf Jahre von 2019 bis 2023 verteilt: Erhöhung der Ertragskraft, «Erlebniswelt Neugasse », Anpassung des Lagers an die Geschäftsentwicklung. Wir haben mit unserem Geschäftsführer Ueli Müller einen Detailhandelsprofi im Haus, der sehr viel Branchenwissen und Kreativität einbringt und zusammen mit unserem bewährten und einsatzfreudigen Mitarbeiterteam auch umsetzt. So sind wir z. B. daran, unser Sortiment im Vintage- Bereich auszubauen und damit auch ein zahlungskräftigeres Publikum anzusprechen. Mit baulichen Anpassungen der Verkaufsflächen, z.B. mit einem Café mit Brockenhaus- Möbeln, die man gleich vor Ort kaufen kann, können wir den Raum, der jetzt noch im Haus als Lager dient, ertragreicher nutzen.

Was die Identität unserer Einrichtung betrifft, halten wir am bestehenden – nicht zuletzt freimaurerisch geprägten – Verständnis der Wohltätigkeit fest. Wir sind ausgerichtet auf die rund dreissig Arbeitsplätze unserer Mitarbeiter, von denen zwei bis drei Stellen zur Wiedereingliederung gedacht sind. Die Kunden sollen weiterhin kostengünstig verschiedenste Artikel erstehen können. Und schliesslich geht es darum, der Stiftung Brockenhaus die Mittel zur Verfügung zu stellen, um mit Vergabungen wohltätige Organisationen mit konkreten Projekten, z. B. in Altersund Pflegeheimen, zu unterstützen.

Was unternehmt ihr im Hinblick auf den E-Commerce?

Wir wollen einen starken Online- Auftritt im Internet haben, also über unsere Homepage mit einem Webshop, aber ebenso über die Social Media. Bereits jetzt verkaufen wir mit steigendem Erfolg auch online über das Handelsportal Ricardo. Als Gegenbewegung zur Digitalisierung setzen wir auch voll auf analoge Kundschaft, die das konkrete Einkaufserlebnis zum Stöbern und Lädelen „zum Anfassen“ schätzt, ebenso wie auf Dienstleistungen wie Haushaltsauflösung oder Werkstattarbeiten.

Wie ist deine persönliche Sicht für die nächsten fünf Jahre?

Ich bin überzeugt, dass wir dank der guten Zusammenarbeit zwischen Stiftung und Verein und dem Projekt «Weg in die Zukunft» gerüstet sind und die Veränderungen im Marktumfeld als Chancen nutzen können. Ich danke den Zürcher Logen und den kirchlichen Vertretern für das Vertrauen und den Handlungsspielraum, den sie uns gewähren, um uns im harten Detailshandels- und Brockenhaus-Geschäft gegenüber der Konkurrenz zu behaupten. Schön wäre es, noch vermehrt Brüder Freimaurer zu unseren Kunden zu zählen – als sichtbares Zeichen der Verbundenheit; haben wir doch einen Teil des neuen Berner Freimaurermuseums möblieren dürfen.

 

Br∴ E. S., * 1947, Präsident des Vereins Zürcher Brockenhaus, gehört der Loge „Sapere Aude“ seit 1997 an und war 2010–2013 deren Stuhlmeister. Er ist als lic. oec. publ. der Universität Zürich Fachmann für Leadership, Organisation und Human Resources und führt die international tätige SIMC AG, International Management Consulting.

Auf der Homepage www.zuercher-brockenhaus.ch finden sich weitere Informationen. T. M.