Der «Eindruck, dass sich das Anklopfen gelohnt hat»

Wie erleben und verstehen Millennials die Freimaurerei? Einer von ihnen spricht vom «Kunststück» der Königlichen Kunst, «sich zu konservieren und gleichzeitig weiterzuentwickeln». Wichtig ist allen der Dialog zwischen den Generationen. Hier die Stimmen von drei Brüdern, die zwischen 1980 und 2000 zur Welt gekommen sind.

Das Leben als Millennial in der Loge

Br∴ A. K., Loge Phönixi∴ O∴ Thun

Schon als kleiner Junge war ich mit dem Thema Freimaurerei vertraut, da auch mein Vater ein Freimaurer ist. Schon früh habe ich mich für die Symbole, den Schurz und die Handschuhe interessiert und ihn oft darauf angesprochen. Die Antwort blieb jedoch stets dieselbe: «Das erzähle ich dir, wenn du älter und reifer bist, mein Sohn.» Ich wurde älter, und die Neugier wuchs mit mir.

Mit zunehmendem Alter konnte ich den einen oder anderen Schluss selber ziehen. Als ich 18 wurde, fragte ich ihn erneut, ob es nun der richtige Zeitpunkt sei, und die Antwort war: «Nun bist du zwar älter, aber noch nicht reifer, mein Sohn.» Es sollte noch sieben Jahre dauern, bis ich mit 25 Jahren die nötige Sicht auf das Leben erlangte und reif genug war, um mein Beitrittsgesuch zu schreiben. Nun bin ich froh, habe ich gewartet, denn mit 18 Jahren hätte ich Sinn und Zweck der Loge nie erkannt.

Die Altersunterschiede in der Loge sind enorm. Einige Brüder sind um die 90 Jahre alt. Ich versuche von der Lebenserfahrung solcher Menschen zu profitieren. Natürlich sollten ältere Brüder auch Verständnis für den Nachwuchs zeigen, was bei unserer Loge zum Glück sehr gut klappt. Die Welt ist zwar noch dieselbe, aber die Gesellschaft hat sich in den letzten 100 Jahren massiv verändert. Und trotzdem gibt es viele Themen wie z. B. die Arbeit an sich selbst oder die Entwicklung des Geistes, die sich nie grundlegend verändert haben, und ich versuche, über solche Dinge zu sprechen.

Betreffend das unterschiedliche Verständnis der Freimaurerei und ihrer Praktiken denke ich, dass zum einen jeder seine eigene Auffassung von der Freimaurerei hat, doch andererseits ist der Grundgedanke seit Jahrhunderten derselbe: die Arbeit an sich selbst.

Die Freimaurerei enthält Rituale, Symbole und Traditionen, die seit Jahrhunderten bestehen. Ich denke, die Tradition ist genau das, was die Freimaurerei zu einer so einzigartigen Bruderschaft macht. Meiner Meinung nach sollten die alten Rituale und Bräuche nicht verändert werden. Der Mensch soll sich weiterentwickeln. Was Männern wie George Washington, Walt Disney und vielen mehr vor so langer Zeit so viel gebracht hat, kann auchheute nicht komplett falsch sein.

Ich versuche, profanes und maurerisches Leben in Einklang zu bringen. Ich kann nicht einfach, sobald ich den Tempel verlassen habe, ein ganz profanes Leben weiterführen. Das würde ja dem Sinn der Maurerei widersprechen. Mit der Aufnahme bist du Freimaurer, und jeder soll das mit in den Alltag nehmen, was für ihn richtig ist. Obwohl ich erst seit kurzem einer Loge angehöre, tragen doch immer wieder maurerische Gedanken zu alltäglichen Entscheidungen bei. Und bis jetzt waren noch keine schlechten Entscheidungen dabei.

Ich bin gespannt und freue mich darauf, was mir die Freimaurerei noch alles bringen wird, was ich lernen und welche Erkenntnisse ich erlangen darf.

Die Chance für Millennials

Br∴ B. H., Loge Modestia cum Libertate i∴ O∴ Zürich

Dann fiel die Tür ins Schloss. Klar war da Dunkelheit. Nicht bedrohlich. Höchstens ein Funke Ungewissheit, der nach und nach in Neugier umschlug. Und als die Augenbinde fiel, als die von der Alltagshektik entrückte Atmosphäre voll und ganz auf mich einwirkte und ich die wohlwollenden Blicke der mehr als hundert neuen Brüder wahrnahm, Brüder, die eigens gekommen sind, um mir ein unvergessliches Aufnahmeritual zu bereiten, da wusste ich, es war der richtige Entscheid, als ich vor einem Jahr angeklopft hatte.

Die Zeremonie war gleichsam eine Zeitreise, so als hätte man die Vergangenheit konserviert. Die Installationen im Tempel, die Kerzen, die Musik, die bestimmt vorgetragenen Worte in einer altertümlichen Sprache – all das hat enorme Wirkung und ist gerade für einen Millennial, der nichts anderes kennt, als dass alles und jeder immerzu verfügbar ist, ein wertvolles Erlebnis. Besonders die Gewissheit, dass in einer zunehmend von Unsicherheit geprägten Welt etwas ist, das Bestand hat, gibt einem jüngeren Bruder Halt. Und Orientierung, befindet er sich doch mitten in der beruflichen und persönlichen Entwicklung.

Ebenso bereichernd wie Tempelarbeiten sind Konferenzen und Instruktionen. So auch die Gespräche davor und danach, das gesellige Beisammensein mit Menschen unterschiedlichster Prägung, das gemeinsame Arbeiten am rauen Stein.

Dass sich Brüder aller Altersgruppen Woche für Woche treffen und sich über Profanes, Spirituelles und Philosophisches austauschen – wo würde man das sonst finden? Der Dialog mit älteren Semestern ist eine Chance für Millennials. Das gilt freilich auch umgekehrt. Während der jüngere Bruder vielleicht verfestigte Denkmuster hinterfragt, profitiert er von der Lebenserfahrung eines gestandenen Meisters. Fragen zu Studium, Karriere, Partnerschaft, Familie? Irgendein Bruder weiss bestimmt Rat. Mein Pate beispielsweise ist fast 40 Jahre älter als ich. In kürzester Zeit führten wir viele bereichernde Gespräche.

Alles gut also? Nicht ganz. Um attraktiv zu bleiben, muss der Freimaurerei ein Kunststück gelingen: sich zu konservieren und gleichzeitig weiterzuentwickeln. Vor allem aber: Wie schafft sie es, potenziellen Brüdern die genannten Vorzüge zu vermitteln? Junge Menschen informieren sich oft via Youtube, Instagram, Facebook. Wer sich dort über die Freimaurerei schlau machen will, erhält ein falsches Bild. Zumal viele Verschwörungstheorien durch die sozialen Medien spuken. Es stellt sich die Frage, wie darauf zu reagieren ist. Stillschweigen und riskieren, dass ein negatives Bild in den Köpfen der jungen Generation überhandnimmt? Oder selbst in den sozialen Medien Präsenz etablieren? Vielleicht aber spielt das gar keine Rolle, und Suchende werden so oder so ihren Weg zu uns finden. Entscheidend dabei: Auch sie sollten einst den Eindruck gewinnen, dass sich das Anklopfen gelohnt hat.

«Das gewisse Etwas»

Br∴ R. S., Loge Humanitas in Libertate i∴ O∴ St. Gallen

Meine Einstellung und die Grundsätze der Freimaurerei harmonierten bereits vor meinem Gesuch, Mitglied der vollkommenen und gerechten Loge «Humanitas in Libertate» i∴ O∴ St. Gallen zu werden. Jeder Mensch sollte akzeptiert und gleich behandelt werden. Es ist mir wichtig, zu helfen, wenn Hilfe gebraucht wird, und respektvoll mit Tieren und der Natur umzugehen. Die Freiheit, die in meinem Leben schon immer eine der wichtigsten Rollen spielte, ist für mich die Grundlage für ein glückliches Leben.

Als mir meine Partnerin Rahel einen Zeitungsartikel über unseren Br∴ Urs Weber vorlegte, war ich fasziniert. Was Br∴ Urs beschrieb, hatte das gewisse Etwas. Es war passend aufgrund der freimaurerischen Grundsätze und greifbar aufgrund der offenen Art. Nach der Kontaktaufnahme mit Br∴ Urs folgte ein Gespräch mit dem damaligen M∴ v∴ St∴ Thomas Herren. Er empfing mich herzlich, wir hatten ein gutes Gespräch, und ich hatte von Anfang an das Gefühl, kein Blatt vor den Mund nehmen zu müssen.

Besonders gefällt mir die aufrichtige und aufgeschlossene Art meiner Brüder. Bislang fand ich keinen weiteren Ort, wo so viele unterschiedliche Menschen zusammenkommen und so herzlich und respektvoll miteinander umgehen. Des Weiteren gefällt mir die Arbeit mit Symbolen. Anfangs werfen sie Fragen auf, dann ergeben sie Sinn, und im Idealfall führen sie zu einer Erkenntnis, mit der ich mich weiterentwickeln kann.

Als störend empfinde ich an der Freimaurerei, wenn Unterschiede bezüglich des maurerischen Grades den Lernprozess künstlich einschränken. Es ist schön, dass sich wissbegierige Brüder weiterbilden, auch wenn dies mit Hilfe von Texten passiert, die sie u. U. noch nicht verstehen. Ein auf sich aufbauender Lernprozess macht durchaus Sinn, doch das Leben verläuft nicht immer gradlinig in eine Richtung, und ein künstliches Bremsen der Entwicklung wirkt eher blockierend als fördernd.

Ich erlebe keinen spürbaren Unterschied, wenn es darum geht, sich zu unterhalten oder miteinander einer Arbeit nachzugehen. Was mir jedoch auffällt ist, dass das Leben in den letzten Jahren hektischer geworden ist. Es ist infolge von künstlich erzeugtem Druck schwieriger geworden, Ruhe im Arbeitsalltag zu finden, und das prägt die Menschen. Deshalb ist es wichtig, Prozesse zu entschleunigen, den Menschen in den Vordergrund zu stellen und das Miteinander zu fördern.

Traditionen sind meiner Meinung nach wichtig und sollten auch in modernen Zeiten nicht aufgegeben werden. Nicht aufzugeben bedeutet jedoch nicht, Traditionen stur umzusetzen und ohne Rücksicht auf Weiterentwicklung unbearbeitet zu belassen. Ein Teil der Weiterentwicklung der Freimaurerei sollte die Akzeptanz von reinen Frauenlogen und deren damit verbundene Ernennung zu regulären Logen beinhalten.