Die schriftlichen Quellen der Freimaurerei

Wer nach schriftlichen Quellen der Freimaurerei sucht, kann davon ausgehen, dass diese Organisation in England und Schottland entstanden ist. Da das Schrifttum äusserst vielfältig ist, lohnt sich eine Einteilung der Quellen in Gruppen. Fast alle sind heute auch auf dem Internet in digitaler Form zugänglich. Hier eine Übersicht.

Von Br∴ R. M., L∴ Catena Humanitatis i∴ O∴ Zürich

Schon bald nach Erscheinen der ersten Auflage der «Constitutions of the Free-Masons» von James Anderson 1723 machten sich zahlreiche Pamphlete und Artikel darüber lustig. Der Kompilator liess sich jedoch nicht beirren und erweiterte seine «Geschichte» der Freimaurerei verbissen auf den vierfachen Umfang. Der Basler Historiker Heinrich Boos wettert in seiner «Geschichte der Freimaurerei » (1906, S. 143): Andersons «Willkür in der Benutzung der alten Handschriften kennt keine Grenzen, ja selbst vor Fälschungen schreckt er nicht zurück.»

1390–1717: ca. 70 «Old Charges»

Mit der Zeit wurden immer mehr Manuskripte mit Bezug auf das Steinmetzgewerbe oder die frühe Freimaurerei entdeckt. 1872 konnte William James Hughan in seiner Sammlung «The Old Charges Of British Freemasons» bereits deren 32 verzeichnen, 1895 66 Manuskripte plus neun gedruckte Texte und elf als vermisst eruierte. Eine Übersicht, die Leo Miller ums Jahr 2000 zusammengestellt und chronologisch geordnet hat, verzeichnet von ca. 1390 bis 1717 rund 70 «Early Masonic Documents» (http://freemasonry.bcy.ca/ritual/list. pdf). Darunter finden sich auch die Strassburger Ordnung (1459; manchmal auch als «Regensburg Statutes» oder «Statutes of Ratisbon » bezeichnet) und die Torgauer Ordnung (1462), die freilich nicht zur Geschichte der Freimaurerei gehören.

Oft blieb der Autor anonym oder verwendete einen Decknamen

Im Internet findet sich eine grössere Zusammenstellung von Originaltexten (http://theoldcharges.com/summary.html). Sie sind auch in gedruckter Form erhältlich unter dem Autor Guy Chassagnard: «The Old Charges of the Craft», 2016. Was an Originalen schon lange in gedruckter Form vorliegt, findet sich auf der Website der englischen Forschungsloge «Quatuor Coronati» bei den «Research Resources» in sechs Bänden «QCA» («Quatuor Coronatorum Antigrapha»), zum Teil mit Faksimiles der schönen handschriftlichen Aufzeichnungen. Eine Zusammenstellung von deutschen Übersetzungen findet sich auf der Website www.muellerscience. com unter «Esoterik – Texte der Freimaurerei – Old Charges» und in der Kategorie «Manuskripte» in der Freimaurer-Wikipedia (https://freimaurer-wiki.de/).

Seit 1717: «Verräterschriften»

Eine ziemlich vollständige Liste aller sogenannten «Verräterschriften » (engl.: «exposures», frz: «divulgations») findet sich auf www.muellerscience.com unter dem Titel «Freimaurerei: Gegnerische Schriften». Oft blieb der Autor anonym oder verwendete einen Decknamen (z. B. Boniface Oinophilus de Monte Fiascone, Verus Commodus oder Leonard Gabanon). Lange Zeit hat man angenommen, diese Pamphlete stammten von verhinderten oder abgewiesenen Kandidaten, von enttäuschten oder ausgestossenen Freimaurern oder von politischen oder religiösen Eiferern. Heute ist man mit der Beurteilung vorsichtiger und sieht sie eher als «Aides-mémoire» von Freimaurern.

Wichtig wurden zwei englische anonyme Schriften: «The Three distinct Knocks, Or the Door of the most Antient Free-Masonry», 1760, und «Jachin and Boaz; or an Authentic Key To the Door of Free-Masonry», 1762.

«Offizielle» Schriften der Freimaurerei

Gibt es so etwas wie «offizielle» Schriften von Freimaurern? Unzweifelhaft gehören dazu die «Constitutions» von James Anderson von 1723. Viele Auflagen folgten. Die englischen Ausgaben von 1756 und später wurden nie ganz auf Deutsch übersetzt. Immerhin wurden die neu formulierten Pflichten von 1815 im «Allgemeinen Handbuch der Freimaurerei» (Band 2, 1865, S. 566–572) unter dem irreführenden Titel «Antient Charges (alte Pflichten)» ins Deutsche übersetzt. Das löste ein geringes Echo aus.

Einiger Beliebtheit scheint sich der «Pocket Companion» für Freimaurer erfreut zu haben. Seit seiner ersten Ausgabe durch William Smith im Jahre 1735 erfuhr er viele Auflagen unter wechselnden Herausgebern und Titeln. Grosse Ausstrahlung hatten auch zwei weitere Schriften: einerseits William Preston, «Illustrations of Masonry», 1772, 12. Aufl. 1812; dt. von Johann Heinrich Christian Meyer: «Erläuterung der Freymaurerey», 1776; 2. Aufl. 1880, und andererseits William Hutchinson: «The Spirit of Masonry», 1775; mehrere Aufl. bis 1843; dt. «Der Geist der Maurerey», 1780. Ab und zu haben es einige Brüder gewagt, eine Zeitschrift oder Buchreihe herauszugeben.

Lexika oder Enzyklopädien

Originaltexte in Auszügen oder ganz, meist mit Übersetzungen sowie Quellenangaben, enthalten die Lexika des 19. Jahrhunderts. Wertvoll sind die drei Bände «Encyclopädie der Freimaurerei», herausgegeben 1822–1828 von C. Lenning. Sie wurde in revidierter Fassung unter dem Titel «Allgemeines Handbuch der Freimaurerei» herausgebracht, 1863– 1867 in drei Bänden, 1900–1901 in zwei Bänden.

Für den englischen Sprachraum wurden die Werke von Albert Gallatin Mackey wichtig: «A Lexicon of Freemasonry » (1845) und «An Encyclopaedia of Freemasonry» (1874). Beide Werke erzielten zahlreiche Auflagen und Nachdrucke.

Forschungsberichte

Nicht gering zu achten sind auch Ergebnisse ernsthafter freimaurerischer Forscher, wie sie in der Person des gebürtigen Franzosen Alain Bernheim und in der 1985 gegründeten schweizerischen Forschungsgruppe Alpina begegnen. Mit Beteiligung von William James Hughan wurde 1884 in London die Forschungsloge «Quatuor Coronati Lodge No. 2076» gegründet. Sie entfaltete eine reiche Publikationstätigkeit. Bereits 1863 war im Verband der Grossen Landesloge der Freimaurer von Deutschland die Forschungsvereinigung «Frederik » gegründet worden. 1951 wurde die Freimaurerische Forschungsloge «Quatuor Coronati» mit Sitz in Bayreuth gegründet, zu der auch eine Schweizer Sektion gehört.

Einen ausgezeichneten Überblick und Einblick in das, was heute die Forscher beschäftigt, bieten das «Handbook of Freemasonry» (2014) und der Sammelband: „Wurzeln der Freimaurerei“ (2016). Für beide Bände steht unter den Herausgebern der in Zürich bekannte Jan A. M. Snoek gut.