Der grosse Uhrmacher

Zu den massgeblichen Denkschulen des 18. Jahrhunderts zählt der Deismus. Der Kerngedanke: Gott habe die Welt erschaffen, und sie nehme nun, ohne jegliches Eingreifen von seiner Seite, ihren Gang. Rationalität und Glaube schliessen sich dabei nicht aus, und der ausgeprägte Humanismus zeigt sich bis heute auch in der Freimaurerei.

Der deutsche Kupferstecher Daniel Chodowiecki (1726–1801) charakterisierte die Aufklärung auf seine Weise. In einer 1791 entstandenen Graphik zeigt er die römische Göttin Minerva, die Licht spendet und dank der die Religionen friedlich zu ihren Füssen zusammenfinden.

Die Ratio als Leitdisziplin

Der aufklärerische Ansatz wurde aber auch als Skandal empfunden. Hier wandte man eine rationale Betrachtungsweise auf ein Gebiet an, das so noch selten wahrgenommen worden war: die Religion. Im Vorfeld der Aufklärung bereiteten u. a. die englischen «Free Thinker» und Isaac Newton (1642–1727) den Boden für diese philosophisch- theologische Revolution. John Locke (1632–1704) entwickelte in seinem «Essay concerning Human Understanding » von 1690 seinen empiristischen Ansatz zum Gottesverständnis, geprägt von Wahrnehmung und Reflexion und beruhend auf den Gesetzen der Ratio.

Den Deisten ging es keineswegs darum, die Religion abzuschaffen.

Einen weiteren Meilenstein in dieser Tradition verdanken wir Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716). Er sprach 1710 in seinen «Abhandlungen über die Theodizee von der Güte Gottes, der Freiheit des Menschen und dem Ursprung des Bösen» von «der besten aller möglichen Welten ». Gott sei allmächtig, allwissend und allgültig, was sich in seiner Schöpfung ausdrücke, die (anders als von Newton gedacht) wie das Werk eines Uhrmachers abgeschlossen sei, der nicht mehr interveniere. Der Begriff «Deismus» bezeichnet diese Haltung und leitet sich vom lateinischen «deus», Gott, ab. Man liest aus ihm auch das griechische «dei» im Sinne von «Es ist notwendig».

Einen groben Dämpfer erlitt die deistische Schule im Jahr 1755 mit dem Erdbeben von Lissabon. Wie sollte diese Jahrhundertkatastrophe mit ihrem Gottesbild vereinbar sein? Voltaire schrieb daraufhin die Satire »Candide oder der Optimismus» mit dem legendären Schlusssatz: «Il faut cultiver notre jardin.» – Was uns übrig bleibt, ist, «unseren Garten zu bestellen.»

«Nicht ein seliges, sondern ein sittliches Leben»

Den Deisten ging es keineswegs darum, die Religion abzuschaffen. Sie unterschieden sich aber von den Theisten, denen zufolge Gott jederzeit in die Schöpfung eingreifen kann. Für Wunder, Propheten und Offenbarungen gibt es im deistischen Verständnis keinen Platz. Aus dem Klerus verlautete bald, der Deismus sei das «Patengeschenk des Freimaurerbunds von 1717». Dieses Verdikt ist nachvollziehbar, denn der Zusammenhang zwischen der Königlichen Kunst und der Aufklärung zeigt sich auch im humanistischen Kanon des Deismus.

Nicht ein seliges, sondern ein sittliches Leben ist Gegenstand der Bemühungen. Das Individuum soll sich autonom entfalten. Keine Religion darf den Menschen voll beanspruchen. Die moralisch agierende Persönlichkeit steht über konfessioneller Zugehörigkeit. Diese Auffassung vertraten u. a. Freimaurer, die sich in den jungen USA einen Namen machten. Zu diesen zählte Thomas Paine (1737–1809), einer der amerikanischen Gründungsväter. Er postulierte, gerechtes Handeln, Mitleid und Altruismus machten die wahre Religion aus.

«Kein gemeinsamer Gottesbegriff»

Freilich stellt sich vor diesem Hintergrund die Frage, wie der A∴ B∴ A∴ W∴ im maurerischen Sinn zu verstehen ist. Der deutsche Freimaurerforscher Hans-Hermann Höhmann (* 1933) formuliert dazu fünf Thesen. Die Freimaurerei sei «eine ethisch orientierte Vereinigung und keine Religion (…), sie vermittelt kein Glaubenssystem und kennt weder sakramentale Heilsmittel, noch Theologie und Dogma.» Zudem hätten die Freimaurer «keinen gemeinsamen Gottesbegriff» in dem Sinne, wie ihn Religionen vertreten.

Des weiteren stelle der A∴ B∴ A∴ W∴ «das umfassende Symbol für den Sinn der freimaurerischen Arbeit dar» und sei «als solches vom Freimaurer zu respektieren. Denn ethisch orientiertes Handeln setzt die Anerkennung eines sinngebenden Prinzips, eines die Unverbindlichkeiten des Alltags transzendierenden ‚höheren Seins‘ voraus.» Wesentlich für die Freimaurerei sei ihre Offenheit «für Menschen aller Glaubensbekenntnisse und Weltanschauungen und auch für Menschen ohne Glaubensvorstellungen im herkömmlichen Sinne. Ob Gläubige, Agnostiker oder Atheisten: Unabdingbar ist allerdings, dass sie als Freimaurer mit den im Diskurs gefundenen ethischen Überzeugungen und moralischen Prinzipien des Freimaurerbundes übereinstimmen (…)».

In den Tempelarbeiten wird die zentrale Rolle des A∴ B∴ A∴ W∴ auf unterschiedliche Weise verdeutlicht.

Schliesslich, so Höhmann, sei «die freimaurerische Tempelfeier (…) kein Gottesdienst», und die Freimaurerei sei auch «keine Institution des Kirchenkampfes. Aufgrund einer solchen Festlegung und Abgrenzung kann das Verhältnis zu den großen christlichen Kirchen entspannt und selbstbewusst entwickelt werden (…).» 1

Der A∴ B∴ A∴ W∴ im Ritual

In den Tempelarbeiten wird die zentrale Rolle des A∴ B∴ A∴ W∴ auf unterschiedliche Weise verdeutlicht. Dazu gehört bereits die Einrichtung des Tempels. Eines der drei Grossen Lichter ist die Bibel auf dem Altar, genauer: das Evangelium des Johannes, und dieses ist bei Joh. 1,1 aufgeschlagen. An dieser Stelle ist vom Logos, dem Wort, die Rede, das dem A∴ B∴ A∴ W∴ zugeordnet wird: «Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott.» Die beiden zentralen masonischen Werkzeuge, der Zirkel und das Winkelmass, (be)ruhen buchstäblich auf dieser Bibelstelle. In der Johannismaurerei nennt der Stuhlmeister den A∴ B∴ A∴ W∴ bei der Öffnung und Schliessung der Tempelarbeit: «Zur Ehre des Allmächtigen Baumeisters des Weltalls, im Namen des Bundes und kraft meines Amtes öffne / schliesse ich diese (Lehrlings etc.)loge.» Zudem wird der A∴ B∴ A∴ W∴ bei der Initiation, bei der Beförderung sowie der Erhebung angeführt. Des weiteren ruft der Stuhlmeister die Brüder in die Ordnung, und der Zeremonienmeister nimmt den Hut ab, wenn vom A∴ B∴ A∴ W∴ die Rede ist.

Diese und andere Elemente führen dazu, dass der A∴ B∴ A∴ W∴ während der gesamten Arbeit gegenwärtig ist und der einzelne Bruder sich damit seiner Unvollkommenheit, sprich: Perfektibilität, bewusst ist. Wollte man von der Kraft und dem inneren Zusammenhang maurerischer Symbole und Rituale sprechen, so hätte man hier ein Beispiel erster Güte. T. M.

 

1 Hans-Hermann Höhmann: Freimaurerei in der Tradition von Aufklärung und Humanismus. Referat am Grosslogentag 2017 in Leipzig. Abgerufen am 30.6.2017 unter https://www.afuamvd.de/ freimaurerei-in-der-tradition-von-humanismus-und-aufklaerung/