Psychologie des Feindbilds

In einem Witz sagt jemand: «Ich habe etwas gegen Neger, Juden und Rassisten.» Die Pointe macht deutlich, dass es im Zusammenhang mit Feindbildern nicht immer logisch zu und her geht. Man glaubt sich aber im Besitz unumstösslicher Wahrheiten. Das Feindbild lebt vom Zirkelschluss: Man entnimmt der Welt jene Vorurteile, Klischees und negativen Muster, die man zuvor in sie hinein interpretiert hat, und ist erfreut, dass sich diese bestätigen. Auch die Freimaurerei bildet von alters her eine Projektionsfläche für alle möglichen Anfeindungen. Doch wie ist derlei möglich? Ein Blick auf die Propaganda- Industrie, Erkenntnisse der Sozialpsychologie und die Schwierigkeit, Feindbilder aus der Welt zu schaffen.

T. M.

Propaganda ist wohl so alt wie die Menschheit. Caesars Buch über den Gallischen Krieg war pure Public Relations in eigener Sache – und eine Breitseite gegen seine innenpolitischen Gegner. Napoleon liess auf seinem Ägyptenfeldzug Zeitungspressen mitführen, um die Moral seiner Truppen in die gewünschte Richtung zu lenken. Und im Ersten Weltkrieg erlangte die auf der Krim eingeführte Kriegsphotographie grosse Bedeutung: Sie ermöglichte es, jenes Bild vom Geschehen herzustellen, das sich in den Köpfen und Herzen in der Heimat etablieren sollte. Und nie zu vergessen: Das Feindbild musste bis in die Details ausgestaltet werden, es musste einfach und eingängig sein – und selbsterklärend.

Im Zeitalter der Propaganda- Industrie

Die Wahrnehmung des Zielpublikums zu steuern verlangt viel Know-how. Regierungen auf der ganzen Welt halten sich entsprechend ihre Kommunikationsstäbe. Wenn nötig, holt man sich diese hochbezahlten Spezialisten dort, wo sie bislang gewirkt haben. 2001 wurde Charlotte Beers US-Staatssekretärin für «Public Diplomacy» und «Public Affairs». Zuvor war sie Produktemanagerin für «Uncle Ben’s Rice» gewesen. Neu war sie Managerin der Feindbilder. «Rogue states» (Schurkenstaaten) und gegnerische Personen z. B. aus dem islamistischen Umfeld galt es deutlich, ja überdeutlich darzustellen – und moralisch derart abzuwerten, dass ihre Bekämpfung Sache jedes aufrechten Bürgers in der westlichen Welt wurde. Das brachte Budgets ein und konzentrierte die Kräfte einer z. T. unschlüssigen Staatenwelt.

Wir leben im Zeitalter der Wahrnehmungen. Es zählt nicht mehr unbedingt, was tatsächlich der Fall ist, sondern wie die Gegebenheiten betrachtet und interpretiert werden. Es hat sich eine wahre Propaganda-Industrie etabliert – über die modernen westlichen Demokratien hinaus bis zum islamistischen IS, der trotz mittelalterlichen Wertvorstellungen bewusst Public Relations betreibt. Das kann bis zu den Aufnahmen von Enthauptungen gehen. Diese wirken auf uns barbarisch. Für andere Leute auf unserer Erde sind sie eine Bestätigung dafür, dass endlich etwas unternommen wird, ja dass man gegenüber dem Westen das Primat des Handelns für sich beanspruchen kann. Beide Seiten bringen ihre jeweiligen Feindbilder in diese Situation hinein und finden diese bestätigt.

Rezepte für ein Feindbild

Ein wirksames Feindbild herzustellen ist ein Stück weit Handwerk. Gewisse Instrumente bewähren sich bis heute. Eines besteht darin, der Gegenseite Gräuel anzulasten, sie zu dämonisieren. Dazu gehört das Bombardement von Kirchen und Kindergärten, das Töten von Frauen und Kindern, der Einsatz von Giftgas gegen Zivilisten. Dieses Vorgehen hat einen grossen Vorteil: Einen Gegner, der sich Derartiges zuschulden kommen lässt, muss man nicht schonen. Im Gegenteil, es gilt ihn mit allen Mitteln unschädlich zu machen. Auf das Feindbild Freimaurer bezogen heisst das: Wenn die Brüder schwarze Messen mit der Tötung von Säuglingen durchführen, werden sie in moralisch legitimierter Weise zum Freiwild.

Es gilt die Welt holzschnittartig wiederzugeben.

Ein weiteres Instrument sind die Übertreibung und die Verallgemeinerung. Man soll Glaubensinhalte und Handlungsweisen der anderen Seite so übertrieben wie möglich darstellen. Und es gilt aus einzelnen Handlungen ein umfassendes Handlungsmuster zu machen, aus dem Verhalten einer Person jenes einer ganzen Gruppe. Wenn der Gründer und Grossmeister der italienischen Loge «P 2» sich 1998 wegen verbrecherischen Machenschaften vor Gericht verantworten musste, konnte weltweit jeder einzelne Bruder, unabhängig von seinem Verhalten, unter Generalverdacht geraten.

Zu den bewährten PR-Instrumenten für die Etablierung von Feindbildern gehört auch das Polarisieren: hier die «goodies», dort die «baddies», hier Weiss, dort Schwarz, hier «wir», dort «die andern». Es gilt die Welt holzschnittartig wiederzugeben. So besteht eine Unzahl von Stereotypen: im islamischen Raum der Typus des Schweinefleisch essenden westlichen «Kreuzfahrers» und in der westlichen Wahrnehmung die Moschee als Brutstätte des Islamismus. Aus Halbwissen und unausgegorenen Ressentiments wird Überzeugung, und aus dieser kann Schlimmes hervorgehen. Gerade wir Freimaurer sind oft mit Halbwissen konfrontiert und sehen uns mit Schwarz- Weiss-Klischees konfrontiert, in denen wir auf der dunklen Seite angesiedelt werden. Sekundiert werden solche Urteile von den Medien. Mit dem Medientheoretiker Marhall McLuhan muss man sagen: «Good news is no news.» Dass die Freimaurer hinter vielen karitativen Werken stehen, eignet sich nicht für die Medien. Diese verlangen den Skandal, und der garantiert Auflage und Quoten.
Wohl der gefährlichste Weg, ein Feindbild zu konstruieren, ist die Berufung auf höhere Werte. Papst Urban I. baute 1095 in seine Propagandarede für den Kreuzzug immer wieder die Formel ein: «Gott will es.» Es ist beschämend, wie oft die Religion in aggressive Verhaltensweisen umgelenkt worden ist – und wird. Wer sich auf den Gott seiner jeweiligen Glaubensrichtung beruft, kann sich so gut wie alles erlauben. Er verhilft einer höheren Ordnung zur Gültigkeit. Es geht um eine Pflicht. Die Ablehnung, ja Verfolgung von Freimaurern in gewissen Ländern zeigt, in welch erschrecklichem Ausmass das der Fall ist.

Wozu Feindbilder?

Das Phänomen «Feindbild» ist wohl nicht aus der Welt zu schaffen. Dass es sich über alle Jahrhunderte derart hartnäckig hält, muss seine Gründe haben. Die Sozialpsychologie gibt hier Ansätze für eine Erklärung.

Die manichäische Trennung von Gut und Böse kennt keine Grauwerte, sondern nur Schwarz und Weiss.

Der Mensch liebt Ordnung, Strukturiertheit und Voraussagbarkeit. Damit hätte er es eigentlich schwer auf dieser Welt, die streng genommen keines dieser Elemente zu bieten hat. Es bedarf der selektiven Wahrnehmung. Sie blendet alles aus, was dem Feindbild widerspräche. Zwar ist es mit dem Verlust, der Verzerrung und der Einseitigkeit von Information verbunden, doch es erleichtert vermeintlich das Leben. Untrennbar mit Feindbildern verbunden sind moralische Überzeugungen. Die manichäische Trennung von Gut und Böse kennt keine Grauwerte, sondern nur Schwarz und Weiss. Das vermittelt Stabilität, man muss also nicht alles hinterfragen. Laut behauptet ist halb gewonnen. So kann Krieg, der zweite der vier apokalyptischen Reiter in der Offenbarung des Johannes, in etwas Gutes umgemünzt werden. Man denke an die von Cicero, Augustinus und Thomas von Aquin vertretene These des «gerechten Kriegs». Oder es kann mit Samuel Huntington und Bassam Tibi davon ausgegangen werden, dass ein «Krieg der Zivilisationen» unumgänglich sei.

Neben der selektiven Wahrnehmung und den moralischen Überzeugungen spielt das Prinzip des Sündenbocks eine wichtige Rolle. Gerade wenn es einer Menschengruppe an innerem Zusammenhalt fehlt und die Verhältnisse als bedrohlich empfunden werden, kann ein äusserer Feind hoch willkommen sein. Die Abgrenzung nach aussen ermöglicht den Schulterschluss nach innen. Ähnlich verhält es sich bei einer einzelnen Person. Zerfällt ihr sozialer Rahmen, muss sie in den Worten des Pychoanalytikers Arno Gruen «ihre Persönlichkeitsstrukturen (…) durch Feindbilder aufrechterhalten». In unserer Gesellschaft lösen sich viele Identität stiftende Geschlechter-, Berufs- und Partnerschaftsrollen auf. Der Reflex, auf einfache Ordnungen zurückzugreifen, ist unübersehbar. Und wir erfahren es ja selbst: Zu diesen Ordnungen zählen «bewährte» Feindbilder.

Die meisten Menschen könnten wohl erkennen, dass diese Bilder sich nicht mit der Realität decken. So kann ein Freimaurer als umgänglicher, toleranter Zeitgenosse erfahren werden. Das passt aber nicht ins Konzept. Entsprechend schnell werden Widersprüche im Feindbild verdrängt.

Was tun?

Feindbilder tendieren zur «self fulfilling prophecy». Sie bestätigen selbst ihre Richtigkeit. Ein Beispiel hierfür bietet eine Aktion der Nazis in Hamburg. Sie liessen das Logengebäude Stein für Stein abtragen, um das «freimaurerische Geheimnis» zu finden. Die Tatsache, dass sie nichts fanden, konnte nur gegen die Brüder verwendet werden: Ihr Geheimnis musste so raffiniert verborgen sein, dass es sich nicht finden liess. Ähnliches gilt für das Klischee der Weltverschwörung. Kann man diese nicht belegen, so nur deshalb, weil sie noch verwerflicher vorgeht, als man angenommen hat.Was sollten wir also tun? Sicher viel kommunizieren und Transparenz schaffen, um Gerüchten vorzubeugen. Diese sind eine Brutstätte für Feindbilder. Die Grosslogen, die Logen tun das und sicher auch mancher Bruder. Wie weit das zielführend ist, hängt gewiss von den jeweiligen Ländern und Kulturen ab. Kommunizieren kann man auch über sein Verhalten. Ein Bruder, der die maurerischen Werte in seinem Alltag umsetzt, bewirkt vielleicht mehr, als es tausend Wörter können. Doch man muss sich eingestehen: Feindbilder halten sich deshalb so hartnäckig, weil sie menschlichen Bedürfnissen entsprechen – und sehr, sehr bequem sind. Ganz loswerden wir sie vermutlich nie.