Man sieht nur mit dem Herzen gut

Schönheit ist Sinnlichkeit und somit auch subjektiv. Eine Handlung an und für sich, ist weder schön noch hässlich. Entscheidend ist die Art ihrer Ausführung.

H. Z. – «Zur Windrose», Sargans

Wir kennen die Säule der Schönheit, die dem 2. Vorsteher, der über die nördliche Kolonne gebietet, zugeordnet ist. Mit dem Wort ‚Lehrling’, zumindest im profanen Leben, verbinden wir in der Regel die Begriffe ‚jung und schön’. Schönheit ist nach Wahrig (Deutsches Wörterbuch): «…das Schönsein, schönes Aussehen, Schönheitder Natur, ein Kunstwerk von grosser, klassischer, strenger Schönheit etc…» Im Internationalen Freimaurerlexikon von Lennhoff, Posner, Binder heisst es dazu: «Die Schönheit ziert den Bau, den die Weisheit leitet und die Stärke ausführt. Schönheit aber auch im Geistigen und Sittlichen ist ein Hauptgebot für den Freimaurer. Die Schönheit bringt die Harmonie. Toleranz und Hilfsbereitschaft, Nächsten- und Bruderliebe sind Ausdrucksformen der wahren Schönheit. In älteren Zeiten war die Schönheit durch Liebe, bzw. Güte ersetzt.» Schönheit nehmen wir durch die Sinne Sehen und Hören wahr. Ob man sie auch mit dem Tastsinn erfühlen könnte, weiss ich nicht. Als schön empfinden wir ein ebenmässiges, fehlerloses und edel geformtes Gesicht. Aus Zeitschriften kennen wir das Bild schön aussehender Frauen und Männer, meist von Visagisten herausgeputzt. Gehen wir ins Leben, da ist wohl allen von uns schon der Ausspruch entschlüpft: «Die sieht wirklich gut aus, aber…» Umgekehrt begegnen uns Männer oder Frauen, die uns nicht durch äusserliche Schönheit auffallen, aber die, sobald man sie näher kennt, dank ihrer Ausstrahlung zunehmend als schön empfindet. Schönheit lässt sich nicht durch ein Zahlenverhältnis ausdrücken. Was ich empfinde, lässt meinen Nachbarn kalt. Schönheit ist erst dann da, wenn sie mein Inneres ergreift, etwas in mir zum Erklingen bringt. Ein Bild an der Wand kann mich durch seine Farben, die Komposition des Dargestellten, die Pinselführung begeistern, mich anregen.

Eine Handlung an und für sich, ist weder schön noch hässlich. Entscheidend ist die Art ihrer Ausführung. Sie kann als schön empfunden werden, wenn sie harmonisch und ohne falsche Geräusche abläuft. Ich erinnere mich aber einer Tempelarbeit, anlässlich des Besuchs eines Grossbeamten. Wir gaben uns grösste Mühe, es gab keinen Versprecher und jeder Einsatz war punktgenau. Wir waren stolz, dass es so gut geklappt hatte und dann kam der Hammer, indem gleich mehrere Brüder auf uns einstürmten und bemängelten, dass das von uns Gebotene kalt und unpersönlich gewesen wäre, es hätte nicht gelebt. Vollkommenheit ist keine Grundvoraussetzung für die Schönheit. Ihr fehlt ein gewisses Anderssein, was das Eine von dem Anderen unterscheidet. Wir kennen auch den Begriff der Schönheitsflecken, welche ein Gesicht erst schön und interessant machen. Kürzlich erzählte mir ein Bruder, seine jetzt doch schon erwachsenen Töchter hätten Photos aus früheren Zeiten angeschaut und bewundernd gesagt: «Papa, du hast eine schöne Frau geheiratet », worauf er zu mir sagte: «Ja, ich habe eine schöne Frau.» Von der Liebe heisst es, sie mache blind. Das mag stimmen, solange Liebe eine Folge aufgewühlter Hormone ist. Es gibt eine Schönheit, die nicht vergänglich ist, bei der Falten und «Die Schönheit wird die Welt retten». Fjodor Dostojewskj 136 Thema graue Haare in den Hintergrund treten und ersetzt werden durch die Liebe, die unser Dasein erst schön macht Die Liebe ist der Ursprung der Schönheit, wobei auch das Gute als schön empfunden wird. Die Frage stellt sich mir, was macht es, dass etwas, das weder schön noch hässlich ist, schön wird?

Von Edith Piaf las ich einmal, wenn sie auf die Bühne gekommen sei, so wäre da eine kleine unscheinbare Frau aufgetreten. Habe sie dann gesungen, so hätte sie durch die Strahlungskraft ihrer Stimme die Menschen verzaubert und auf der Bühne wäre nicht mehr der kleine Spatz von Paris, sondern eine ganz andere Frau gestanden. Musik und auch Stimmen begeistern mich, wenn sie in meinen Ohren schön klingen, eine Saite in mir zum Schwingen bringen, ich zum Resonanzboden werde. Ein schön aussehender Mensch mit einer krächzenden Stimme stört das Bild, die Harmoniegeht verloren. Bei der Musik kommt sehr gut zum Ausdruck, dass der Begriff der Schönheit eine Folge subjektiven Empfindens ist. Im Laufe der Zeit verändern sich die Vorstellungen, was schöne und gute Musik sei. Auch im Leben eines Menschen durchlaufen wir sich ändernde Vorlieben. Ich habe gelernt, vermehrt hinein zu hören, gewagt, Neues zu entdecken. Im Begriff der Schönheit steckt mehr, als nur schön aussehen oder wohlklingend zu sein. Bei einer Flasche Wein ist nicht die Etikette ausschlaggebend, sondern der Inhalt. Ein äusserlich schön aussehender Mensch wird uns auffallen und Erwartungen wecken. Erst wenn wir ihn kennen gelernt haben, erweist sich, ob hinter der Fassade auch Werte stecken, er ein wirklich schöner Mensch ist. Schönheit ohne Wärme, ohne Ausstrahlung ist wertlos und vergänglich, eine leere, rasch verwelkende Hülle. In einem unserer Rituale heisst es: ‚Die Schönheit des Angesichts vergeht, geistige Schönheit führe uns der Vollkommenheit entgegen.’ Mit der Erkenntnis des Kleinen Prinzen von Antoine de Saint Exupéry: «Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar. Man sieht nur mit dem Herzen gut», möchte ich überleiten zur Schönheit in einem weiteren Sinne. Schöne und kühne Bauwerkeeifern oft der Natur nach. Filigrane Eisenbetonwerke haben ihre Vorbilder oft in der Natur gefunden, indem sie z.B. die Strukturformen eines Blattes in die Konstruktionsidee einfliessen lassen. Aber auch hier verändert sich im Laufe der Zeit das Schönheitsempfinden: vom Einfachen zum Verschnörkelten, zum Protzigen, zu Zwischenformen, bis zur Reduktion auf das Allernotwendigste. In der Gegenwartskunst konstatiere ich ein eindeutiges Bekenntnis zum Hässlichen, Skurrilen, zur Disharmonie. Moderne Bilder und Plastiken werden gekauft und gepriesen, weil dahinter ein bekannter Name steht. Vor Jahren war ich im Atelier eines deutschen Künstlers. Er zeigte uns den Entwurf für eine Plastik im Auftrag der deutschen Bundeswehr, einen in meinen Augen erigierten Penis. Lachend erzählte er, wie er den Auftraggebern den tiefern Sinn und Symbolgehalt dieses Werkes erklärt habe. Kunst kommt bei gewissen Leuten tatsächlich von Können, nämlich wie man etwas verkaufen kann. Moderne Musik, ich gestehe, ich bin ein Banause und verstehe sie nicht, sie tut mir in den Ohren weh. Ich weiss, dass man nicht stehen bleiben darf, sich fortentwickeln soll. Viele Komponisten, die zu ihrer Zeit hoch gepriesen wurden, sind heute vergessen. Auch musikalische Modetrends, jetzt hoch gelobt, versinken rasch in der Schublade. Die Auffassung von Schönheit an Dingen ist abhängig von der Zeit, dem Kulturkreis, dem man angehört, seiner Erziehung, seinem Alter und damit wandelbar. Im alten Griechenland war die Schönheit ein Attribut der Götter und so auch bei den Germanen und im Sufismus ist die Gottheit der Inbegriff alles Schönen und die Wirklichkeit nur ein Abbild davon. Schönheit, Liebe und Harmonie gehören zusammen. In einem schönen Körper, so wird gehofft und erwartet, wohnt eine schöne Seele. Dieses Wesen wird sich schämen, eine schlechte Tat zu begehen, da dann die Harmonie zwischen Leib und Seele verloren geht.

Auch eine Beziehung zwischen Menschen, zwischen Mensch und Tier, kann schön sein. Wenn ich nachts neben meiner Frau liege und ihre Wärme körperlich spüre, bin ich glücklich. Wenn unsere kleine Hündin sich an uns ankuschelt, gestreichelt wird, verströmt sie Liebe. Schönheit ist für mich Harmonie zwischen dem Innen und dem Aussen.