Glück gehabt – und haben

Glücklich sein ist nicht zu verwechseln mit Glück haben – und das sinnliche Glück ist nicht vom geistigen Glück zu trennen. Man sollte unter Glück etwas Ganzheitliches verstehen, das uns durchdringt und vollständig erfasst.

P. L. – Zum Fels am Rhein, Basel (Schweizer Freimaurer-Rundschau: Januar 2009)

Glück ist zunächst einmal einer jener ganz wenigen Begriffe, welche durch und durch positiv besetzt sind und keinen Raum für negative Assoziationen lassen. Im Gegensatz z.B. zum an sich positiven Begriff “Karriere”, welcher sofort auch mit mindestens potentiellen Nachteilen verbunden wird. Wenn hingegen Menschen von ihrem Glück sprechen oder einfach wirklich glücklich sind, dann leuchten ihre Augen ohne Hintergedanken.

Glück ist zweitens ein geläufiger Begriff und wird auch sehr häufig verwendet. Im alltäglichen Sprachgebrauch ist der wohl am häufigsten gebrauchte mündliche Ausdruck das “na, Glück gehabt!”. Im schriftlichen Verkehr dürfte eher das “Glück wünschen” dominieren. Wenn immer möglich versuche ich, diese – ich sage mal – Floskel zu vermeiden, weil mir nie ganz klar ist, was ich darunter eigentlich verstehen soll, resp. was der Adressat wohl darunter verstehen könnte oder möchte. Ist damit der Gewinn des grossen Loses gemeint, ist es das Glück in der Liebe oder im Beruf, ist es Zufriedenheit oder ist es einfach nur das Glück, von Unglück verschont zu bleiben? Nur eines ist sicher: Alle Menschen wollen glücklich sein, denn ein Leben ohne Glück ist nicht auszuhalten.

Um begrifflich etwas Struktur ins Phänomen Glück zu bringen, möchte ich mit einigen Ausführungen beginnen, wie sie im wohl bekannten Buch “Glückssache” von Annemarie Pieper zu finden sind. Im Anschluss daran versuche ich, einen Bogen zur Freimaurerei zu schlagen und ein paar Schlussfolgerungen für mich selber zu ziehen.

Da sind also zunächst die bereits erwähnten geläufigen Redensarten wie “Glück gehabt” oder “Glück wünschen”. Das erste bezieht sich auf die Vergangenheit und stellt fest, dass ein Glücksfall tatsächlich eingetreten ist. Das zweite, das Glück wünschen, projiziert in die Zukunft, als Hoffnung auf Glück haben werden. Interessanterweise fällt auf, dass auf der Zeitachse gesehen eine Formulierung für die Gegenwart fehlt. Die Aussage “ich habe Glück” ist eher selten. Sie ist auch nicht zu verwechseln mit der Formulierung “ich bin glücklich”. Inhaltlich bedeutet dies nämlich etwas anderes. Es ist wichtig, sich diesen Unterschied bewusst zu machen. Er ist analogerweise auch bei anderen Begriffen zu beachten, z.B. bei Geld oder Gesundheit. Geld haben und reich sein, ist nicht dasselbe, genauso wie Gesundheit haben und gesund sein inhaltlich nicht die gleiche Aussage macht. Das eine hängt zwar mit dem anderen zusammen, muss aber nicht. Es gibt Leute, die haben Geld, sind aber nicht reich und es gibt andere, die sind reich, haben aber nie Geld.

Hat also jemand, der sich glücklich fühlt, auch Glück? Oder sind alle, die Glück haben, auch glücklich?

Noch wurde ja nicht festgelegt, von welchem Glück überhaupt die Rede ist. Das überrascht kaum, denn es gibt unendlich viele Beschreibungen resp. Arten von Glück und Glücksempfindungen. Dazu werden von Annemarie Pieper unter anderem die folgenden “Glücksexperten” aufgeführt: Philosophen und Theologen sind vor allem für das Glück des Kopfes zuständig.

Die Dichter und Schriftsteller sind dem Glück des Herzens zugetan.

Mit dem Glück für die Region des Unterleibs, der Lust, befassen sich nicht nur die Kochkünstler und Gourmets als Sachverständige, sondern auch die Erotiker und Pornografen.

Die Psychologen siedeln das Glück irgendwo zwischen Kopf und Herz an, je nachdem, wo sie den Sitz der Seele vermuten.

Ob man Astrologen, Wahrsagerinnen, Kartenlegerinnen, Spielbankmanager, Lotterieveranstalter und alle übrigen, die mit dem Glück ein Geschäft machen, als Glücksexperten bezeichnen kann, ist zweifelhaft, da sie die Sucht nach der Droge Glück fördern, anstatt sie als Sucht zu problematisieren.

Zu beachten ist auch, dass in unserer abendländischen Tradition die Glücksempfindungen von Theologen und Philosophen in zwei Kategorien eingeteilt wurden: In die geistigen einerseits, die sinnlichen andererseits. Während die «Idealisten» allein auf das geistige Glück setzten und das sinnliche rigoros als tierische Lust abwerteten, priesen die «Materialisten» das sinnliche Glück und verhöhnten das geistige als Wahngebilde. Beide Positionen sind letztlich ein Missverständnis; denn Idealismus wie Materialismus fragmentieren den Körper, spalten den Menschen dualistisch in zwei Teile, von denen jeweils einer für minderwertig erklärt und damit seines Glücks beraubt wird. Man sollte unter Glück etwas Ganzheitliches verstehen, das uns durchdringt und vollständig erfasst.

Offenbar ist das Glück selber nicht einfach, geschweige denn allgemein gültig definierbar. Aus diesem Grunde empfiehlt Frau Pieper, nicht vom Glück, sondern über das Glück zu reden. Es geht dabei darum, sich mehr Klarheit zu schaffen über die eigene Situation, über das eigene Glücksstreben und über das Stolpern auf möglichen Holzwegen bei der Suche nach dem Glück. Beim Reden über das Glück gilt es, sich zunächst die Bedeutungen der verschiedenen lateinischen Ausdrücke für das deutsche Wort “Glück” bewusst zu machen, nämlich Fortuna, Felicitas und Beatitudo. Ich zitiere Annemarie Pieper:

«Mit Fortuna ist jenes Glück gemeint, das sich dem puren Zufall verdankt und jemandem ohne eigenes Zutun unverdient in den Schoss fällt, wie ein Lotteriegewinn oder das Überleben eines schweren Unfalls ohne gravierende Verletzungen. In solchen Fällen pflegen wir umgangssprachlich zu sagen, wir hätten Glück gehabt, und freuen uns darüber wie über ein unerwartetes Geschenk. Dieses Glück kann man nicht erzwingen; es lässt sich in keiner Weise manipulieren. Das Wort Felicitas hingegen verweist auf jenes Glück, an dessen Zustandekommen wir entscheidend mitbeteiligt sind. Wer es vom Tellerwäscher zum Millionär gebracht hat, hat durch seinen persönlichen Einsatz Leistungen erbracht, durch welche er seine Lebensumstände kontinuierlich verbessern konnte. In manchem mag er Glück im Sinne von Fortuna gehabt haben, etwa durch glückliche Umstände, doch im Wesentlichen hat er sein Glück selbst gemacht und sich sprichwörtlich als seines Glückes Schmied erwiesen.

Von diesem machbaren Glück unterscheidet sich das als Beatitudo bezeichnete Glück dadurch, dass es sich auf ein als Ganzes geglücktes Leben bezieht. Ein durch und durch gelungenes Leben verdankt sich ebenso sehr eigener Anstrengung wie auch höheren, z.B. göttlichem Beistand. Daher wird dieses Glück zumeist als Glückseligkeit charakterisiert.

Das Glück in der Bedeutung von Fortuna kann man zwar begehren, aber nicht erstreben. Man kann nur hoffen, wenigstens hin und wieder Glück im Leben zu haben. Will man aber so glücklich werden, überlässt man sich dem blinden Schicksal und macht nichts aus seinem Leben.

Das Glück von Felicitas hingegen kann man begehren und erstreben, wobei allerdings offen bleibt, ob das Begehrte auch erstrebenswert ist. Der Mafiaboss, der seinen Weg zum Status des Paten mit zahllosen Leichen gepflastert hat, kann über seine gelungene Karriere ebenso glücklich sein wie die Hausfrau und Mutter, die trotz ständig knapper Mittel ihre Kinder zu anständigen Menschen erzogen hat.

Das Glück in der Bedeutung von Beatitudo behebt diese Ambivalenz der Felicitas, indem es dem Streben nach Glück Kriterien des Erstrebenswerten zu Grunde legt. Dabei muss nicht ein Gott als Urheber des Erstrebenswerten angenommen werden. Auch durch die Vernunft oder durch demokratische Vereinbarungen können Regeln der Verbindlichkeit festgelegt werden, die den Einzelnen verpflichten, sein Glück innerhalb eines bestimmten Normenkatalogs zu erstreben. Zusammengefasst können wir Fortuna übersetzen mit blindem Zufall, Felicitas mit dem Glück des Tüchtigen und Beatitudo mit glücklicher Zufriedenheit im Einklang mit einem übergeordneten Sinn. Was diese unterschiedlichen Kategorien von Glück miteinander verbindet, ist das Problem der Vergänglichkeit. Das Glück bleibt nicht, wenn man es festhalten will. Auch das Glücksgefühl, das in seiner Intensität unermesslich sein mag, ist zeitlich nicht beständig. Eine weitere, unabdingbare Gegebenheit aller Glückskategorien besteht darin, dass zum Erleben von Glück ein Auf und Ab gehört. Als Gegenstück zum Glück wird normalerweise das Leid, der Schmerz aufgeführt. Glück und Schmerz bilden einen Spannungsbogen, ohne den das Leben nicht auskommt. Alles und jedes Glück ist immer gefährdet. Zu Bedenken ist auch, dass ein immerwährendes Glück die Fähigkeit, Glück zu empfinden, abstumpft. Ohne Glück also kein Schmerz, aber ohne Schmerz auch kein Glück.

Für diejenigen, welche den Schmerz vermeiden und dennoch glücklich sein wollen, hat sich eine ganze Industrie auf die Produktion von Stimulantien und Glücksgütern verlegt. Das Begehren nach Glück wird ersetzt durch eine Spassgesellschaft, in der alle high and happy sind. Wer allerdings sein Glück verwechselt mit der Abwesenheit von Unglück und Schmerz oder gar gleich setzt mit der Abwesenheit von Unlust, der bewegt sich auf der Suche nach einem glücklichen Leben auf dem Holzweg. Frustrierend ist es natürlich, ständig nur auf das Glück zu warten; denn wer das Warten zu seiner Grundhaltung gemacht hat, lebt nicht wirklich und muss am Ende feststellen, dass nichts von dem eingetroffen ist, was er sich als sein Glück erhofft hat. Aber auch auf das Glück hin zu arbeiten, ohne sicher zu sein, es wirklich zu erreichen, ist unbefriedigend.

Das Fazit: Auf das Glück zu warten, bringt nichts. Auch immer Wagnisse oder gar Risiken eingehen zu müssen, um eventuell Glücksmomente zu erleben, überzeugt unsere Absicherungsmentalität nicht. Und obendrüber steht dann noch immer die Gewissheit, dass alle Glücksmomente ohnehin vergänglich sind. Was nur könnte das Unberechenbare und das Vergängliche des Glücks auffangen? Der Schlüssel zur Stabilisierung liegt in der Sinngebung, welche wie ein Bogen die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft übergreift. Dies bettet das menschliche Suchen und Streben in einen umfassenden Zusammenhang, der es auch erlaubt, die nicht geglückten Augenblicke, ja selbst das Unglück zu tragen. Der feste Rahmen einer Sinngebung ermöglicht jenen Halt, der die Flüchtigkeit des Glücks erträglich macht.

Mit diesen Überlegungen sind wir direkt bei der Beatitudo angelangt. Beatitudo unterscheidet sich wie gesagt von der Fortuna – dem glücklichen Zufall – und von der Felicitas – dem Glück des Tüchtigen – dadurch, dass sich dieses Streben und Finden des Glücks an einem selbstgewählten Katalog von Werten orientiert. Dieser Katalog von Werten ist ein anderes Wort für Sinngebung. Daraus entwickelt sich eine individuelle Vorstellung, was eine gute Lebensform ist. Mit Hilfe von gemachten Erfahrungen wird die ursprüngliche Vorstellung ständig ausgebaut oder revidiert und verfestigt sich schliesslich zu einer Grundhaltung, welche Charakter und Identität einer Person und damit das dazugehörende Glücksstreben begründet. Die zugrunde liegenden Werte hängen dabei natürlich immer davon ab, was für ein Mensch man ist. So wird ein Genussmensch stets die Befriedigung seiner sinnlichen Bedürfnisse im Auge haben. Der altruistisch Veranlagte wird im Dienst am Mitmenschen seine Erfüllung finden, usw. Die natürlichen Unterschiede zwischen den Individuen sind mit unterschiedlichen Präferenzen verbunden, die man verstärken oder auch abschwächen kann. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass man sich der Zusammenhänge zwischen Lebensform, Lebenssinn und Befriedigung bewusst ist oder sie sich bewusst macht». Soweit ein paar Überlegungen zum Thema “Glück”, basierend auf den Ausführungen von Annemarie Pieper.

Was hat das nun alles mit der Freimaurerei, resp. mit uns Brüdern zu tun?

Betrachten wir dazu nochmals das Glück im Sinne von Beatitudo. Wie oben ausgeführt, ergänzt Beatitudo das Glück des Tüchtigen – die Felicitas – mit übergeordneten Werten, welche dem Glücksstreben Sinn und der Lebensform Sinnerfüllung geben. Diese Konstellation ist – nach Pieper – die Basis für ein ganzheitliches, glückliches Leben. Bekanntlich vertritt nun die Freimaurerei erstens klare Werte und zweitens besteht ein Kernstück der Freimaurerei aus der Aufforderung an ihre Mitglieder, sich anhand von Fragen, z.B. woher komme ich, wer bin ich, wohin gehe ich, Gedanken über den Sinn des Lebens zu machen. Auch setzen wir voraus, dass potentielle Mitglieder diesbezüglich echte Suchende sind. Die Aufgenommenen verpflichten wir, sich mit den inneren Werten der Freimaurerei auseinander zu setzen, sie individuell interpretiert zu adaptieren und im Alltag dann auch zu leben. Diesen Auftrag bezeichnen wir gemeinhin als Arbeit am rauen Stein.

Wir Freimaurer haben also die besten Voraussetzungen, Glück im Sinne der Beati tudo zu finden! Interessanterweise fehlt dieser Aspekt im Selbstverständnis der Freimaurerei, vermutlich auch in der externen Wahrnehmung, sicher aber in der Kommunikation der Freimaurer.

Unsere Aussagen bezüglich der Arbeit am rauen Stein lauten in der Regel, dass sie den Einzelnen weiter bringt, dass sie zum wahren Menschentum führt, dass sie einen Baustein für den Tempelbau, sprich die humanistische Gesellschaft, ergibt. Dies sind die bekannten Formulierungen, die wir in der Regel benützen. Von Glück keine Rede! Jedenfalls kann ich mich nicht erinnern, gehört zu haben, dass die Arbeit am rauen Stein glücklich macht oder dass sie die Basis für ein glückliches Leben wäre.

Wenn also dieser Zusammenhang zwischen sinnerfüllter Lebensform und Beatitudo besteht – und daran habe ich keinen Zweifel – müssten dann die Freimaurer nicht erkennbar glücklich sein?

Wenn sie das aber nicht oder nicht erkennbar sind, an was liegt es dann? Wird zuwenig Arbeit am rauen Stein geleistet? Oder legen auch wir Freimaurer nur einfach zuviel Gewicht auf die Vermeidung von Unlust? Oder aber auf die Vermeidung von Schmerz, weil die Arbeit am eigenen rauen Stein schwierig, anstrengend und manchmal auch frustrierend erfolglos ist? Begnügen wir uns aus diesem Grund – um Frustration und Schmerz zu vermeiden – vielleicht mit dem, was wir schon haben und bleiben dabei aber unzufrieden, resp. können nicht wirklich glücklich werden?

Vielleicht fühlen wir uns aber einfach nicht sicher mit dem selbst erarbeiteten Sinn des Lebens, weil wir manchmal spüren, wie fragil und unsicher er im Ernstfall, im Härtetest sein könnte.

Wer auf der Suche nach dem Glück im Sinne der Beatitudo ist, muss sich die Antworten auf diese Fragen selber geben. Nicht ständige Glücksmomente sind ja gefragt, sondern die Möglichkeit, auf dem Hintergrund des Lebenssinnes immer wieder solche zu erleben.

Mir ist beim Lesen des Buches “Glückssache” von Annemarie Pieper klar geworden, dass ich Glück gehabt habe im Sinne von Fortuna, indem ich den Zugang zur Freimaurerei gefunden habe. Und ich habe Glück, dass ich dank des freimaurerischen Gedankengutes und mit Hilfe der Brüder im Sinne von Felicitas am selbst gewählten Sinn des Lebens arbeiten und im Sinne der Beatitudo auch finden kann. Dass ich dieses Glück habe, macht mich glücklich.