Global denken – lokal handeln

Was heisst und erstrebt Nachhaltige Entwicklung?

Nachhaltige Entwicklung bedeutet, dass wir heute lebenden Menschen mit den beschränkten Ressourcen dieser Erde so umgehen, dass auch künftige Generationen daraus ihre Bedürfnisse decken können. Von diesem Zustand sind wir jedoch weit entfernt. Schuld daran ist vor allem die gewaltige Rohstoffverschwendung.

M. B., Loge Modestia cum Libertate, Zürich (Schweizer Freimaurer-Rundschau: Mai 2006)

Mit der raschen wirtschaftlichen Erstarkung grosser ehemaliger Entwicklungsländer – vor allem von China und Indien – verschärft sich die Lage. Deshalb fragt sich, ob und wie das Ideal einer weltumspannenden Gemeinschaft von Brüdern und Schwestern, die für jeden Einzelnen das Recht auf menschenwürdige Lebensbedingungen verlangt, noch aufrecht zu erhalten ist. Ein Thema, das auch die humanistisch geprägte Freimaurerei ethisch herausfordert. Die Nachhaltige Entwicklung (sustainable development) hat sich weltweit zu einem Schlüsselbegriff gemausert und taucht heute in fast allen Lebensbereichen auf. Damit einher gegangen ist jedoch eine erhebliche Begriffsverwirrung, so dass das Wort zur hohlen Floskel zu verkümmern droht, nicht wenige auf dem Nachhaltigkeits-Feuer ihr eigenes Süppchen kochen, ja offen Schindluder damit betreiben. Es dürfte daher nichts schaden, zuerst kurz an die Wurzeln dieser Wortschöpfung zu erinnern. Eingebürgert hat sie sich bereits Ende des 18. Jahrhunderts und bedeutete damals «lange nachwirkend». Entsprungen war sie dem älteren «Nachhalt», womit etwas bezeichnet wurde, das man für Notzeiten zurückbehält. Später wurde das Wort mit der Kahlrodung im Mittelmeerraum und der Losung verbunden, immer nur soviel Holz zu schlagen, wie jeweils nachwachsen kann.

«Unsere gemeinsame Zukunft»

In aller Leute Mund rutschte der Nachhaltigkeitsbegriff erst in neuerer Zeit. Angefangen hatte es 1972 mit der ersten Uno-Konferenz für eine menschliche Umwelt in Stockholm und dem durch sie lancierten Umweltprogramm der Vereinten Nationen. Dieses stützte sich auf die Erkenntnis, dass der verschwenderische Lebensstil der abendländischen Zivilisation der Nachkriegszeit zusehends auf Kosten der natürlichen Umweltressourcen geht und sich langfristig schwerwiegend auf das Biosystem und besonders auf die Atmosphäre (Klima), Böden, Gewässer,Tier- und Pflanzenwelt auswirken werde. Ende 1983 beauftragte deshalb der Generalsekretär der Vereinten Nationen die norwegische Premierministerin Gro Harlem Brundtland, eine unabhängige Kommission einzuberufen. Sie sollte die angeschnittenen Probleme untersuchen und Vorschläge unterbreiten, wie die schnell wachsende Erdbevölkerung ihre Grundbedürfnisse befriedigen könne, ohne dabei den Raubbau an nicht erneuerbaren Rohstoffen fortzusetzen.

Ein zentraler Gedanke stand dabei im Vordergrund: Die menschlichen Grundbedürfnisse nach Nahrung, Kleidung, Wohnung und Arbeit sollten von allen Menschen auf dieser Erde gedeckt werden können. Das bedingte eine gründliche Analyse und Bewertung der Umweltlage der westlich geprägten Industrienationen sowie der sozialen und wirtschaftlichen Probleme der so genannten Entwicklungsländer, ihre gegenseitige Abstimmung und realistische Vorschläge für eine bessere Zusammenarbeit zwischen der Nord- und Südhemisphäre. Im Herbst 1987 legte die Brundtland-Kommission ihren Bericht «Our Common Future» der Generalversammlung der UNO vor und entwarf dazu zwei Szenarien: das erste ging davon aus, dass die Menschen das natürliche Kapital der Erde über kurz oder lang aufbrauchen, das zweite beruhte auf dem Konzept der Nachhaltigen Entwicklung, das durch gerechtere Strukturen die Kluft zwischen reichen und armen Ländern verkleinern soll.

Denn die aus hochkarätigen Wissenschaftlern, Ministern und Diplomaten bestehende Gruppe war während ihrer dreijährigen Untersuchungen in allen fünf Kontinenten zum Schluss gelangt, dass das immer stärker werdende Gefälle zwischen den wirtschaftlich mächtigen Industrienationen und den Rohstoffe liefernden, aber an der Armutsgrenze lebenden Drittweltländern das zentrale Umwelt- und Entwicklungsproblem der Völkergemeinschaft darstelle. Um dieses zu überwinden, müssten ökonomische und ökologische Überlegungen miteinander verzahnt sowie die wirtschaftlichen Entscheidungsprozesse und die Entwicklungspolitik grundlegend neu bestimmt werden. Der Brundtland-Bericht wurzelte also auf einem Gleichgewichts- und Solidaritätsdenken zwischen den heutigen Völkern und gegenüber ihren Nachkommen und definierte als nachhaltig eine Entwicklung, «die die Bedürfnisse der Gegenwart deckt, ohne die Fähigkeit künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu decken».

Rio – Stelldichein der Armen und Reichen

Auf Grund dieses und weiterer Berichte bereiteten die Vereinten Nationen dann eine neue weltweite Umweltkonferenz vor, die 1992 in Rio de Janeiro stattfand. Die Grossveranstaltung mit rund 10’000 Teilnehmern wurde von 178 Regierungen besucht und war das bislang bedeutendste Stelldichein der Staatschefs aller Länder. Geplant war, den löblichen Absichten der Brundtland-Kommission ein gemeinsames Handeln folgen zu lassen. Dazu sollten die Regierungsvertreter verbindliche Erklärungen zu bestimmten Umwelt- und Entwicklungsproblemen unterzeichnen. Da sich aber verschiedene Länder – darunter die USA – weigerten, irgendetwas zu unterschreiben, das sie inhaltlich und zeitlich festgelegt oder ihre wirtschaftlichen Interessen beschnitten hätte, fiel das Konferenzergebnis eher bescheiden aus. Immerhin: Zugestimmt wurde schliesslich einer völkerrechtlich verbindlichen Konvention zur biologischen Artenvielfalt und zum Klima, einer umwelt- und entwicklungspolitischen Grundsatzerklärung sowie der Agenda 21, ein Aktionsprogramm zur Nachhaltigen Entwicklung.

Trotz der ernüchternden Bilanz, hat Rio weltweit eines klar gemacht: ohne fundamentale Änderungen in der Zusammenarbeit zwischen reichen und armen Ländern bleibt Nachhaltigkeit eine Utopie. Vielmehr müssen die Reichen ihre Lebensweise den ökologischen Erfordernissen des Planeten Erde anpassen und die Armen einen gerechten Anteil an den vorhandenen Ressourcen erhalten, um wirtschaftlich wachsen und aus ihrer Misere heraustreten zu können. Die als Ersatz für die ursprünglich vorgesehen gewesene Erdcharta verabschiedete Rio-Deklaration stellt in ihren 27 Grundprinzipien fest, dass jedes Land das souveräne Recht hat, seine Ressourcen gemäss den eigenen umwelt- und entwicklungspolitischen Prioritäten auszunützen. Sie thematisiert aber auch die Armutsbekämpfung und Bevölkerungspolitik und anerkennt die Verantwortung der Industrieländer als wesentliche Verursacher bisheriger Umweltschäden. Gleichzeitig drücken die Staaten aber ihre Absicht aus, umweltpolitische Grundsätze anzuwenden, namentlich das Verursacher- und Vorsorgeprinzip. Das erste läuft darauf hinaus, dass Schadensverursacher dazu verpflichtet werden müssen, diese zu vermeiden oder zu beheben. Das Vorsorgeprinzip hingegen erstrebt Massnahmen noch bevor absehbare Umweltschäden eintreten. Überdies fordert die Deklaration die Einführung von Umweltverträglichkeitsprüfungen und die Internalisierung externer Kosten und hält fest, dass eine Nachhaltige Entwicklung nur möglich ist, wenn die Bevölkerung in die entsprechenden politischen Prozesse einbezogen wird. (Von Internalisierung externer Kosten spricht man, wenn die Kosten der langfristig zu erwartenden Umweltschäden – zum Beispiel der Einsatz von chemischen Düngern, Pestiziden und Fungiziden auf die Fruchtbarkeit der Böden oder die Grundwasserqualität – und ihre Behebung bereits heute in den Preis dieser Produkte einberechnet werden. Mit dieser Verteuerung will man erreichen, den Einsatz solcher Produkte zu minimieren und stattdessen möglichst naturnahe Produktionsformen zu fördern).

Was will die Agenda 21?

Bei der Agenda 21 handelt es sich um ein mehrhundertseitiges umwelt- und entwicklungspolitisches Aktionsprogramm für das 21. Jahrhundert, das von den Nord- und Südstaaten gemeinsam erarbeitet wurde, für Industrie- und Entwicklungsländer gleichermassen gilt, aber unterschiedliche Akzente setzt. So sind die Industrienationen beispielsweise gefordert, bei ihrer Energie-, Verkehrs-, Wirtschafts-, Agrar- und Handelspolitik die Agenda-Richtlinien zu berücksichtigen und die Entwicklungszusammenarbeit mit der Dritten Welt zu verstärken. Umgekehrt verpflichten sich die Entwicklungsländer, nationale Umweltprogramme zu erarbeiten sowie ihre institutionellen und gesetzlichen Grundlagen im Umweltbereich auszubauen. Die 40 Kapitel der Agenda 21 sind in vier Sektionen unterteilt. Die erste gilt dem Kampf der Armut, den Veränderungen der Konsumgewohnheiten und der Integration von Umwelt und Entwicklung in den politischen Entscheidungsprozess. Den zentralen Umweltfragen (Schutz der Atmosphäre, der Artenvielfalt, der Ozeane und Trinkwasserquellen sowie dem Kampf gegen Entwaldung und Wüstenbildung und dem Umgang mit giftigen Chemikalien und Abfällen) ist das zweite Kapitel gewidmet. Im dritten Abschnitt wird die Beteiligung gesellschaftlicher Gruppen bei umwelt- und entwicklungspolitischen Fragen umschrieben, während der vierte Sektor Fragen der Finanzierung, des Technologietransfers sowie der rechtlichen und institutionellen Rahmenbedingungen thematisiert.

Nach der Agenda 21 müssen in erster Linie die Regierungen der einzelnen Staaten auf ihrem Gebiet die Aktionspläne für eine Nachhaltige Entwicklung umsetzen, bis hinunter auf Gemeindestufe. Beteiligt werden müssen aber auch regierungsunabhängige Organisationen und Institutionen sowie die breite Bevölkerung und der einzelne Bürger. Nach der Konferenz von Rio entwickelten sich die Nachhaltigkeitsbestrebungen weiter und es wurden einzelne Vereinbarungen konkretisiert. Dazu gehören etwa das Kyoto-Protokoll zum Schutz des Klimas und das Cartagena-Protokoll zur biologischen Sicherheit beim Handel mit gentechnisch veränderten Organismen. Gewisse Fortschritte erzielt wurden auch bei den Bemühungen um eine nachhaltige Waldentwicklung, indem sich die Länder auf die Erarbeitung nationaler Waldprogramme verständigten. Ein halbes Jahr nach Rio wurde zudem die bei den Vereinten Nationen angesiedelte Kommission für Nachhaltige Entwicklung gegründet, welche die Umsetzung der Rio-Beschlüsse sicherstellen und überwachen soll. Das aus 53 Mitgliedern gebildete Gremium trifft sich einmal jährlich während zweier Wochen und behandelt dabei ausgewählte Themen der Agenda 21.

Johannesburg und die grüne Revolution

Fünf Jahre nach Rio zog die UNO 1997 im Rahmen einer Sondergeneralversammlung eine erste Bilanz über das bisher Erreichte. Fiel diese ökologisch mager aus, wurden bei der Bevölkerungsentwicklung in der Dritten Welt doch ein stagnierendes Wachstum und in Verbraucher- und Unternehmenskreisen zudem eine höhere Bereitschaft beobachtet, das Nachhaltigkeitsprinzip als Marktfaktor anzuerkennen. 2002 traf sich die Staatengemeinschaft in Johannesburg zu einem weiteren Weltgipfel über Nachhaltige Entwicklung. Dabei wurde besonders die grosse Verantwortung der heutigen Menschen und der Wirtschaft gegenüber künftigen Generationen hervor gestrichen und das bereits früher festgestellte Gefahrenpotenzial als grösste Herausforderung für die heutige Menschheit bekräftigt. Mit Blick auf die hier tickende soziale Zeitbombe wurde deshalb in der südafrikanischen Metropole die Verbesserung der Lebensumstände für die Mehrheit der Menschen auf diesem Planeten als oberstes Gebot postuliert. Ein menschenwürdigeres Leben bedeutet vor allem Zugang zu sauberem Wasser, genügend Energie und eine ausreichende sanitäre und medizinische Versorgung.

Eine Schlüsselrolle bei der Nachhaltigen Entwicklung spielt weltweit auch die Landwirtschaft, die sich im 20. Jahrhundert tief greifend verändert hat. Ertragreichere Getreidearten, hoch gezüchtete Viehrassen, maschinen-, kapital- und wasserintensive Bewirtschaftungsmethoden, eine auf die Spitze getriebene Agrochemie sowie ein global verschärfter Preiskampf brachten neue Landwirtschaftstypen hervor: bei uns die industrielle Produktion und in der Dritten Welt die «grüne Revolution», welche die Erträge innert 30 Jahren nahezu verdoppeln liessen. Diesen stehen archaischere und ertragsarme Systeme gegenüber, welche oft in armen und entlegenen Gebieten produzieren, von grösseren Märkten praktisch ausgeschlossen bleiben, weshalb sich ihnen auch kaum Entwicklungsperspektiven eröffnen.Allgemein zeichnet sich schon heute ab, dass die landwirtschaftliche Produktion zusehends an die Grenzen ihres Ertragssteigerungspotenzials stösst und die intensive mechanische und chemische Bewirtschaftung die Böden verwundbarer gemacht hat. Deshalb vermag ihre Fruchtbarkeit nicht mehr überall Schritt zu halten mit dem Bevölkerungswachstum und dem Nahrungsmittelbedarf und werden Verfahren für eine nachhaltigere Landwirtschaft entwickelt: hier etwa durch tiefere Einträge chemischer Stoffe, dort durch regenerative Anbautechniken oder produktivere Nutzung einheimischer Potenziale.

Die Nachhaltigkeits-Strategie der Schweiz

Die Schweiz, welche bei der Vorbereitung der Konferenz von Rio eine massgebende Rolle gespielt hatte, hat sich nach dieser Veranstaltung verpflichtet, die Grundsätze der Agenda 21 auf ihrem Hoheitsgebiet zu konkretisieren und umzusetzen. Zu diesem Zweck setzte der Bundesrat 1993 einen Interdepartementalen Ausschuss (IDARio) ein, der 1997 ein von der Landesregierung gutgeheissenes Strategiepapier über die Nachhaltige Entwicklung in der Schweiz vorlegte. Dieses floss zwei Jahre später in die neue Bundesverfassung ein. So bereits in die Präambel, die sich zur Verantwortung gegenüber künftigen Generationen bekennt, dann in den Zweckartikel 2,wonach «die schweizerische Eidgenossenschaft die Nachhaltige Entwicklung fördert und sich für eine friedliche und gerechte internationale Ordnung einsetzt» und schliesslich in den Abschnitt Umwelt und Raumplanung als Nachhaltigkeits- Artikel 73. Dieser hält fest, dass «Bund und Kantone ein auf Dauer ausgewogenes Verhältnis zwischen der Natur und ihrer Erneuerungsfähigkeit einerseits und ihrer Beanspruchung durch den Menschen anderseits anstreben».

Im Hinblick auf den Weltgipfel von Johannesburg vertiefte der Bundesrat seine Strategie der Nachhaltigen Entwicklung erheblich, indem er diese in alle Politikbereiche integrierte und in zehn Handlungsfeldern 22 konkrete Massnahmen festlegte. Ihre Umsetzung obliegt dem Interdepartementalen Ausschuss Nachhaltige Entwicklung (IDANE) und dem Bundesamt für Raumentwicklung, berührt ökologische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Fragen und soll das Nachhaltigkeitsprinzip in sämtlichen Gesetzen, Konzepten,Aktionsprogrammen und Projekten verankern. Die Nachhaltigkeitsstrategie der Schweiz schliesst neben dem Bund auch die Kantone, Gemeinden, die Zivilgesellschaft und den Privatsektor ein und ist bis zum Ende der Legislaturperiode 2004-2007 ausgelegt. In einer ersten Zwischenbilanz über den Umsetzungsstand wurde festgestellt, dass 13 Kantone und 100 Gemeinden konkrete Aktivitäten für eine Nachhaltige Entwicklung eingeleitet haben. Seither hat sich der Prozess wegen der angespannten Finanzlage der öffentlichen Hand verlangsamt.

Es bleibt noch sehr viel zu tun

Das schweizerische Nachhaltigkeitsverständnis kombiniert das Modell der Brundtlandkomission mit dem Drei-Dimensionen-Konzept der Erklärung von Rio und dem so genannten Kapitalstockmodell der Weltbank. Beim Drei- Dimensionen-Konzept werden zum Beispiel wirtschaftliche, ökologische und gesellschaftliche Prozesse vernetzt, die Auswirkungen des heutigen Handelns auf die Zukunft einberechnet und globale Abhängigkeiten berücksichtigt. Das Kapitalstockmodell beruht auf der Idee, dass es drei Kapitalstöcke gibt (Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft), die nicht aufgezehrt werden dürfen, sondern ständig erneuert und gegenseitig substituiert werden müssen. Alle drei Modelle weisen auf die Wechselwirkungen von Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt sowie auf ihre zeitlichen und räumlichen Auswirkungen hin und fordern langfristig einen grundlegenden Strukturwandel. Dieser soll es erlauben, in Zukunft von den Zinsen zu leben, statt das Ressourcen-Kapital aufzubrauchen. Damit beinhaltet das Nachhaltigkeitspostulat eine starke sozialethische Komponente, die weit über umweltschützerische Aspekte hinausreicht. Sie versteht Lebensqualität umfassend und versucht, Ziel- und Interessenskonflikte zu entschärfen und vorhandene Synergien zu nutzen und zu optimieren – und zwar global, national und lokal. Dies mit dem Ziel, gesellschaftliche Solidarität, wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und ökologische Verantwortung aufeinander abzustimmen und keines dieser Anliegen zu Lasten eines andern zu erreichen.

Ein eigenes Messsystem

Um jederzeit verfolgen zu können, ob und wie nachhaltig sich unser Land tatsächlich verhält, wurde in der Schweiz das Messsystem MONET (Monitoring der Nachhaltigen Entwicklung) verwirklicht. Seine über 120 Indikatoren zu Themen wie Arbeit, Produktion, Konsum,Wohnen, Gesundheit, soziale Sicherheit, Kultur und Freizeit, Mobilität, Boden,Wasser, Luft, Klima, Raumnutzung, Energie, Wald usw. beschreiben die aktuelle Lage der Schweiz hinsichtlich ihrer Nachhaltigkeit. Auch wenn die Indikatoren je für sich keine abschliessenden Antworten ermöglichen, erlaubt ihre gemeinsame Betrachtung doch wertvolle und regelmässige Aussagen darüber, inwieweit sich unser Land auf dem Weg zu einer nachhaltigen Gesellschaft befindet. Zu den wichtigsten bisherigen Erkenntnissen gehört, dass in der Schweiz zwar Ansätze zu einer Nachhaltigen Entwicklung auszumachen sind, wir aber nach wie vor kräftig vom Kapital anderer Länder und zukünftiger Generationen zehren. Fortschritte erzielt wurden etwa bei den subjektiven Lebensbedingungen, der Produktion und beim Konsum von Bio-Produkten, bei der Forschung und Technologie sowie in der Luftreinhaltung. Demgegenüber bestehen in den Bereichen Verkehr, Bodenund Raumnutzung, Armut und internationale Solidarität die grössten Defizite. Zu denken geben besonders der steigende Energieverbrauch und Kulturlandverlust, das Auseinanderklaffen von Reiselust und stagnierender Entwicklungszusammenarbeit sowie die zunehmende Verschuldungsquote der öffentlichen Hand, die den Handlungsspielraum kommender Generationen stark einschränken wird.

Zwischen Technik und Ökologie

Fassen wir zusammen: Nachhaltige Entwicklung hat sich in den letzten 20 Jahren als schillerndes und vieldeutiges Schlagwort etabliert. Umgekehrt besteht weltweit ein breiter Konsens über ihr zentrales Anliegen, wonach die Lebensbedürfnisse sowohl der heutigen Menschen als auch ihrer Nachkommen gesichert werden müssen und es deshalb die natürliche Umwelt als Produktionsfaktor und ausserökonomisches Gut langfristig zu erhalten gilt.Wie das jedoch erreicht werden soll, darüber gehen die Meinungen stark auseinander. Strategien, welche die Probleme über technische Fortschritte lösen wollen (bessere ökologische Effizienz und Substitution von nicht regenerierbaren Ressourcen durch regenerierbare), stehen solche gegenüber, die mehr auf soziokulturelle Fortschritte setzen (Erziehung zur Sparsamkeit und Genügsamkeit sowie prozess- und lernorientierte Strategien). Gehen die ersten davon aus, natürliche Systeme immer mehr durch technische zu ersetzen oder sie durch solche zu ergänzen (schwache Nachhaltigkeit), orientieren sich die zweiten am Selbstwert der Natur und fordern deshalb im Sinne einer starken Nachhaltigkeit die natürlichen Grundlagen des Lebens und Wirtschaftens aufrecht zu erhalten. Welche Strategien sich durchsetzen werden, ist schwer vorauszusagen, vermutlich Kombinationen mehrerer Ansätze, welche Umweltbeeinträchtigungen durch die Wirtschaft so mildern wollen, dass die natürlichen Systeme möglichst funktionstüchtig bleiben und nicht kollabieren.

Davon sind wir aber noch ebenso weit entfernt wie von der in Rio geforderten klaren Trendwende. Dieser pessimistische Befund wird auch gestützt durch die Ergebnisse umfangreicher Forschungsprojekte, wie sie in den letzten Jahren auf diesem Gebiet auch hierzulande durchgeführt worden sind – so durch das Schwerpunktprogramm Umwelt Schweiz. In dessen Synthesebericht «Vision Lebensqualität» schlussfolgern die Autoren, dass sich weder die Erde als Ganzes noch die Schweiz als einzelnes Land heute auf Nachhaltigkeitskurs befinden. Und dies bei uns auf dem Gebiet der Luftverschmutzung genauso wie bei der Zersiedelung, der Bodenerosion, des Artenrückganges oder der Abfallentsorgung, sodass auch wir beispielsweise die in Kyoto eingegangenen Verpflichtungen, den Ausstoss von Treibhausgasen zu senken, nicht werden einhalten können. Anderseits werden in allen Bereichen des Lebens konkrete und gangbare Wege aufgezeigt, effizienter mit natürlichen Ressourcen umzugehen: auf der Stufe einzelner Unternehmen genauso wie auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene. Nachhaltige Entwicklung erscheint aber auch möglich durch gesellschaftliche und individuelle Lernprozesse und bietet weit mehr Spielräume für positive Veränderungen als gemeinhin angenommen wird, liefe dem nicht die mentale und physische Bequemlichkeit der Menschen zuwider. Es liegt deshalb an jedem Land und am einzelnen Bürger, dieses Potenzial durch kleine und grössere Einzelschritte zu nutzen, getreu der Losung «global denken, lokal handeln».