Freimaurer für Frieden

Auf der Suche nach dem Freimaurer als Friedensstifter

Nicht die Freimaurerei als Organisation ist für Friedensaktivitäten zuständig, sondern nur der einzelne Bruder, der die Funktion eines Friedensstifters sinnvoll ausüben kann und soll. Die Summe aller individuellen Friedensaktivitäten, gelebt und weiter getragen in die weltumspannende Bruderkette, stellt sichtbar einen Friedensbeitrag dar.

K. M., Loge Catena Humanitatis Zürich (Schweizer Freimaurer-Rundschau: Februar 2005)

Steht der einzelne Freimaurer tatsächlich für den Frieden ein? Haben Freimaurer in der Vergangenheit nicht auch oft an Kriegen teilgenommen? Wie ist der Widerspruch zwischen Krieg und Frieden im Kontext des Lebens eines Freimaurers zu erklären?

Der friedliche Wettbewerb unter den Menschen ist oft schwieriger als die kriegerische Auseinandersetzung, bei dem der Tod der Mitmenschen in Kauf genommen wird. Die Staatengemeinschaft verbietet zwar das Brandschatzen und Morden. Doch halten sich viele Staaten nicht daran. Freilich sind es in fast allen Fällen nicht die Völker, die den Frieden brechen, sondern deren gewählte oder selbsternannte Führer, die sich auch in neuerer Zeit wie Raubritter benehmen. Man könnte daraus schliessen, dass jeder Streit ein Verbrechen ist und jeder Krieg ein Friedensbruch. Doch so einfach ist es nicht!

Ein Freimaurer muss sich immer für den Frieden einsetzen

Ein Freimaurer muss sich immer für den Frieden einsetzen. Es gibt kein freimaurerisches Prinzip, das dagegen spricht. Allerdings ist es auch des Freimaurers Pflicht, jederzeit gegen jegliche Art von Despotie zu kämpfen. Demnach wäre die Forderung dogmatisch, dass der Freimaurer Streit und Krieg grundsätzlich ablehnen müsse. Aber der erste Weg des Freimaurers muss immer sein, beharrlich eine Verständigung anzustreben. Streit oder Krieg sollte vermieden werden, selbst wenn der Frieden mit Entbehrungen erkämpft werden muss.

Sei es ein vaterländischer Krieg, ein Konflikt in der eigenen Loge oder ein Ehestreit – immer ist es auch eine Frage des Engagements des betroffenen Freimaurers. Er lässt sich leiten von seinem Gewissen. Und für die Haltung hat er in Sarastro (in Mozarts «Zauberflöte») ein Vorbild:

«In diesen heil’gen Hallen kennt man die Rache nicht, Und ist ein Mensch gefallen, führt Liebe ihn zur Pflicht. Dann wandelt er an Freundes Hand, Vergnügt und froh ins bess’re Land. In diesen heil’gen Mauern, wo Mensch den Menschen liebt, Kann kein Verräter lauern, weil man dem Feind vergibt, Wen solche Lehren nicht erfreu’n, Verdienet nicht, ein Mensch zu sein».

Der Frieden in der Loge

Mit welchen Mitteln soll und kann sich der Freimaurer für den Frieden einsetzen? Wo kann er die «Abwesenheit von Streit und Krieg» praktizieren? Der geschützte Raum einer Bauhütte ist das ideale Trainingsfeld für jeden Bruder. Hier kann er die freimaurerischen Tugenden üben und seine persönlichen Erkenntnisse umsetzen. Hier stellt er seinen Spiegel auf. Im Umfeld von Gleichstrebenden lernt er, den anderen Bruder als Menschen zu akzeptieren, ungeachtet von Beruf, Titel, Amt und Würde. Er darf ehrlich zu sich und zu den anderen sein, ohne Angst zu haben vor Gesichtsverlust. Er darf die vielen Regeln des profanen Welttheaters vergessen.

In der Loge kann der Freimaurer auch das Zuhören üben – ohne gleich alles und jedes zu kommentieren. Er soll sich anstrengen, den Bruder so zu verstehen wie er ist, in dessen Art und Eigenheit, aber auch mit dessen Nöten und Sorgen. Gelingt ihm das mit einigen Verhaltenshilfen, wie «C’est le ton qui fait la musique» oder «Wie sag ich’s meinem Kinde», wird er mit der Zeit erfolgreich seine eigene Position finden, nämlich die für jeden Bruder wichtige und zentrale Verbindung zwischen Bauhütte und profanem Leben. Dieses Bestreben, unabhängig der Resultate, macht auch ihn zum Vorbild.

Konflikte in der Loge

Es wäre vermessen zu behaupten, in der schweizerischen Freimaurerei gäbe es nie Konflikte und es herrschte immer Frieden und Eintracht. Wie in jeder langjährigen menschlichen Beziehung Liebe und Streit in einer Wechselbeziehung stehen, so entsteht auch in einer Loge regelmässig Zweitracht zwischen den Brüdern.

Leider muss festgestellt werden, dass der Hauptgrund in der fehlenden Toleranz liegt. Die bereits in den «Alten Pflichten» verankerte Toleranzidee wird von einigen Brüdern nicht verstanden, nicht gelebt oder sträflich missachtet. Würden die heutigen Brüder diese Idee, für welche die Freimaurer über Jahrzehnte und Jahrhunderte von Kirchen und Diktatoren verfolgt wurden, so leben wie sie in vielen Ritualen und nicht zuletzt von Sarastro erwähnt wird, wäre vielen Streitereien die Grundlage entzogen.

Friedensinstrumente

Erkenntnisse allein aber genügen nicht. Sie müssen aktiv gelebt werden, damit sie wirken können. Das geschieht durch brüderliches Engagement, gemeinsame Tempelarbeiten, Instruktionen, diszipliniertes Teilnehmen an Arbeiten und gesellschaftlichen Anlässen, Sich-für-den-andern-Interessieren, höhere gegenseitige Akzeptanz, Themenbearbeitungen zu Begriffen wie Gerechtigkeit, Bescheidenheit, Verständnis, etc.

Eitelkeit und Heuchelei, Machtspiele und Manipulationen, das Setzen von falschen Bildern, das Nicht-erkennen-Wollen von Grenzen, das Projizieren eigener Vorstellungen in die Meinungen anderer und vieles mehr sind Bestandteile unseres Egos, an denen es zu arbeiten gilt.

Mässigung wäre das freimaurerische Zauberwort für die Eindämmung der Eitelkeit – wenn nur jeder Bruder seine Prunksucht und Geckenhaftigkeit selber feststellen könnte. Mit seinem Auftreten in der Loge verletzt mancher unbewusst oder bewusst sein Gegenüber. Und die hartherzig angestrebte Macht einzelner Brüder führt mitunter zu privaten geschäftlichen Beziehungen, die oft in einem Streit enden, der wiederum Auswirkungen auf die Loge hat. Es gibt Brüder, die merken nicht, dass es nicht darauf ankommt, noch mächtiger, noch reicher und noch bedeutungsvoller zu werden.

Der Meister vom Stuhl als Friedensrichter

Ein weiterer Grund für Logenkonflikte ist die Position und Haltung des Meisters vom Stuhl, welche einige Brüder immer wieder zum Nörgeln anregen. Für den einen Bruder entscheidet der Meister vom Stuhl zu einsam, gibt zu wenig Macht ab, bildet Fraktionen und überschreitet seine Kompetenzen. Dem anderen Bruder ist er zu wenig korrekt, viel zu kompromissbereit oder sogar zu wenig kompetent.

In der Loge ist der Wille des Meisters vom Stuhl – in Einigkeit mit seinem Beamtenkollegium – die massgebliche Basis für den Frieden in der Loge. Gerade in liberal denkenden Logen muss die Würde des Meisters vom Stuhl besonders beachtet werden. Zu viel Ehrerbietung ist jedenfalls kein so grosses Übel als zu wenig. Der Meister vom Stuhl hat seine Pflicht erfüllt, wenn er das, was die Mehrheit seiner Loge will, so durchführt, als hätte er es selbst gewollt. Dafür müssen ihn die Brüder aber auch unterstützen und vor Anfeindungen schützen.

Der Bruder als Friedensstifter in der Loge

Streitigkeiten in der Loge entstehen umso seltener, je mehr die Brüder im Geiste der Freimaurerei erzogen sind und je besser sie einander kennen. Jedoch sind viele Arbeitskalender so dicht gepackt, dass kaum Zeit eingeräumt wird, auch etwas über persönliche Belange des Mitbruders zu erfahren. So entstehen oft Streitigkeiten explosionsartig, ohne dass ein anderer Bruder hätte Anzeichen feststellen können. Das gegenseitige Kennen lernen sollte in den Logen massiv verbessert werden. Es ist dem Meister vom Stuhl und seinem Beamtenkollegium sowie den Brüdern überlassen, dafür Ideen zu entwickeln.

Jeder Freimaurer ist nur seinem Gewissen verpflichtet, wie es in den Grundsätzen festgehalten ist. Dies birgt die Gefahr in sich, Mässigung und Toleranz zu missachten. Wer sich an der eigenen Meinung zu sehr festklammert, wird unfähig, sich mit den Meinungen anderer auseinanderzusetzen. Dazu kommt, dass vielen Freimaurern eine eigentliche «Streitkultur» fehlt. Ja, sie flüchten sich nicht selten hinter angebliche Grundsätze, wonach eine Streitkultur in der Loge nicht gepflegt werden dürfe. Daher sollten sich die Brüder im «organisierten Streit» üben, wo nötig unter Mithilfe eines Koordinators oder Mediators.

Freimaurerei für den Frieden

Die Freimaurerei ist eine Lebensschule zur Selbsterziehung. Jeder Bruder weiss, dass er primär an sich selbst zu arbeiten hat. Er soll zuerst sich selbst kennen lernen, seine Stärken und seine Schwächen ausloten und nach Verbesserung streben. Am rohen Stein arbeiten heisst deshalb für jeden, an seinem Ego zu arbeiten. Dazu gehören unter anderem: Eitelkeiten abbauen, ehrlich zu sich und zu anderen sein, vermehrt Toleranz und Gerechtigkeitssinn entwickeln, Bescheidenheit und Demut lernen. Allein dieses Bestreben verheisst ihm, unabhängig von messbaren Resultaten, höheres Lebensglück und weist ihm den Weg zum inneren Frieden. Dieser innere Frieden, wenn auch nicht vollendet, ist Voraussetzung für die Funktion eines Friedensstifters gegen aussen.

(Diese Arbeit ist das Produkt von zwei Arbeitsgruppen, die sich unabhängig voneinander mit dem Problem auseinandergesetzt haben. Der Autor hat versucht, aus den Schlussfolgerungen der beiden Arbeitsgruppen eine Synthese zu erstellen)