Der Freimaurer und sein politisches Engagement

Es lässt sich trefflich reden über Politik, nur nicht bei den Freimaurern! – Vor Jahren, in einem ersten Gespräch mit einem Bruder, wurde mir in einer Art vorauseilendem Bekenntnis – entschuldigend oder beruhigend – bedeutet, dass in der Freimaurerei Religion und Politik Tabuthemen seien.

K. W. – Akazia, Winterthur (Schweizer Freimaurer-Rundschau: Oktober 2009)

Später hörte ich dann – ich muss betonen: nur wenige Male, aber sehr überraschend – respektlose Aussagen über eine Regierungspartei und über «grüne» Politiker sowie eindeutig antisemitische Äusserungen. «Man hört die Botschaft und ist verstimmt», aber es waren wie erwähnt ganz seltene Ausreisser, die auch entsprechend relativiert werden müssen. Tatsache ist, dass politische Äusserungen tunlichst unterlassen werden, dass drängende Fragen und Antworten wie heisse Kartoffeln behandelt werden – wenn überhaupt nur kurz anfassen, rasch weiterreichen oder noch besser fallenlassen! Ebenso deutlich wird aber auch, dass wir Freimaurer nicht in einem vakuumierten Raum leben, dass wir nicht donnerstags um 19 Uhr unser persönliches, berufliches, gesellschaftliches Umfeld an der Garderobe aufhängen und dass wir insbesondere gemeinsame Massstäbe und Leitgedanken haben, die konkrete Folgen für uns und die Welt um uns herum zeitigen sollten!

Grundlagen

In den Alten Pflichten von 1723, die auch ihre Vorgänger haben, steht im Kapitel «Vom Betragen» unter anderem: «…Deswegen dürfen keine persönlichen Sticheleien und Auseinandersetzungen und erst recht keine Streitgespräche über Religion, Nation oder Politik in die Loge getragen werden. Als Maurer gehören wir nur der allgemeinen Religion an. […] Unter uns findet man alle Völker, Zungen, Stämme und Sprachen, wir wenden uns entschieden gegen alle politischen Auseinandersetzungen, die noch niemals zum Wohle der Loge beigetragen haben und es auch niemals tun werden. Diese Pflicht wurde schon immer streng eingeschärft und befolgt, besonders aber seit der Reformation in Britannien oder seit dem Abfall und der Trennung unserer Nationen von der Gemeinschaft mit Rom». Der Ursprung dieser Bestimmung liegt also eindeutig in der Geschichte Englands, aber natürlich auch in der allgemeinen Erfahrung über das menschliche Verhalten, vorallem über das Selbstbewusstsein von «freien Männern von gutem Ruf» – ohne einem Elitedünkel zu unterliegen! – Andere Staaten, auch wir, haben eine vergleichbare Geschichte: Reformation, Aufklärung, innenpolitische Verwerfungen, Eroberungskriege und damit Gründe für identische Schutzmechanismen für Logen und selbstverständlich andere Vereinigungen. Auch Turnvereine, Männerchöre, Schützengesellschaften tun ebenfalls gut daran, politische und religiöse Themen zu tabuisieren, wollen sie ihren Zweck erreichen! Das Bestreben, jegliche Dogmatik zu vermeiden, die individuelle Freiheit jeden Mitgliedes zu bewahren, sind das eine Ziel dieser Vorschriften, die Sicherstellung des Logenfriedens das andere. Die «Allgemeinen Maurerischen Grundsätze der Schweizerischen Grossloge Alpina» verdeutlichen dann den Begriff der «Streitgespräche über Politik», indem sie postulieren, dass sich die Loge «nicht in parteipolitische… Streitfragen» mische. «Zur Belehrung über derartige Fragen ist jedoch ein gegenseitiger Meinungsaustausch gestattet, der indessen weder zu Abstimmungen noch überhaupt zu Beschlüssen führen darf, welche die individuelle Freiheit der Mitglieder beeinträchtigen könnten». Die Einschränkungen sind also bereits weniger eng, indem sie sich auf «parteipolitische Streitfragen» beziehen und den Meinungsaustausch bewusst zulassen. – Der Pfad ist also einmal breit, also eher ein Weg, ein andermal eng, ein schmaler Steg, denn zahlreiche politische Themen werden zu parteipolitischen verengt.

Erfahrungen

Die Situation hat sich allerdings in den vergangenen Jahren sichtbar entspannt: Heute können wir zum Beispiel ziemlich offen über Krieg und Frieden reden, ohne uns gleich «in die Haare zu geraten»; vor 40 Jahren hingegen spaltete der „Vietnam- Krieg“ Volk und Parteien auch in der Schweiz. Noch 1991 wurden wegen des ersten Irak-Krieges landauf-landab die Veranstaltungen aus politischen Gründen abgesagt – nicht grundsätzlich wegen des Leidens der Bevölkerung, sondern weil «auch unsere britischen Freunde» im Kampf starben! – Während der kurze Zeit später folgenden Kriege auf dem Balkan waren wenig parteigebundene Stimmen zu hören: Wir hatten uns fast schon wieder an blutige Auseinandersetzungen in unserer Nähe gewöhnt, und den Balkanvölkern kamen bekanntlich seit jeher keine grossen Sympathien entgegen. Damit setze ich ein Fragezeichen hinter meine vorherige Aussage, die Situation habe sich entspannt! Hat sich etwa im gleichen Zuge Gleichgültigkeit breitgemacht? Sollte sich nicht die frühere parteipolitische Auseinandersetzung in eine allgemeine politische wandeln, in die Ächtung des Krieges, in eine Verstärkung der Entwicklungszusammenarbeit, in einen kompromisslosen Einsatz für die Menschenrechte? Aber können wir Politik und Parteipolitik überhaupt trennen? – Es ist dort möglich, wo sich die Politik nicht im eigenen Haus oder vor der Haustüre abspielt. Die Situation im Nahen Osten lässt sich noch durchaus auf die Menschenrechte fokussieren, die Landnahme Israels oder die unnachgiebige Haltung palästinensischer Kampftruppen kann dann hingegen durchaus parteiisch beantwortet werden. Die Frage der Personenfreizügigkeit im Rahmen der Bilateralen Abkommen macht dann die Situation endgültig heikel! Die Behutsamkeit bezüglich politischer Diskurse und Stellungnahmen war in unseren Nachbarländern wohl schwieriger zu bewerkstelligen als bei uns. In neuerer Zeit waren es die beiden grossen Kriege im vergangenen Jahrhundert, vorbereitet durch innenpolitische Umwälzungen. In Deutschland führten diese insbesondere während der Weimarer Republik zu massiven Gefährdungen des Logenfriedens, zu Selbstauflösungen und zu einem anpasserischen Verhalten, das uns erschreckt. Ich zitiere aus einem Telegramm der Grossen Landesloge von Sachsen vom 21. März 1933 an Hitler, Innenminister Frick und Goebbels: »(Die Grosse Landesloge) gelobt in christlich- nationaler Pflichttreue, …mit der Reichsregierung zusammenzuarbeiten für Deutschlands Ehre und Grösse, Einigkeit und Freiheit. Den Allmächtigen bitten wir, das neue Reich zu segnen» (Dosch, 205). Und der hammerführende Meister einer Wetzlarer Loge rief bereits 1925 an einem Stiftungsfest aus: «Urelement in uns: Rein sein und rasserein bis ins Blut hinein. Bruder- Motto: Gleiches Blut aus Mutterschoss. Sorgen wir dafür, dass die Wetzlarer Loge eine Gralsburg bleibt» (Dosch).

Da waren die potentiellen Bruchstellen der Schweizer Logen zweifellos weniger sichtbar. Die Fonjallaz-Initiative (1934, 1937) bewirkte wohl einen starken Mitgliederschwund, aus Angst oder Kleinmut, aber m.W. keine logeninternen Zerreissproben. Ich habe allerdings keine genaueren Abklärungen getroffen. Auch die Nachkriegszeit habe ich nicht detailliert verfolgt; ich gehe aber davon aus, dass parteipolitische Auseinandersetzungen aus zwei Gründen kein Raum gegeben wurde: Einmal hielt man sich an die allgemeinen Grundsätze der Freimaurerei, zum andern dürfte die grossmehrheitlich bürgerliche Gesinnung der Logenbrüder auch wenig Anlass zu parteipolitischen Diskursen geboten haben.

Aktionsfelder

Kehren wir zurück zur Frage nach dem politischen Engagement der Freimaurer und der Freimaurerei. Ich sehe vier politische Betätigungsfelder für die Freimaurerei und die Freimaurer:

  1. In der Regel sind es einzelne Brüder, die sich parteipolitisch betätigen, als aktives Parteimitglied, als Gemeinderat oder Regierungsrat zum Beispiel. Den Wählern ist wohl in den wenigsten Fällen bekannt, dass es sich um ein Mitglied unseres Bundes handelt; in der Loge wird dieser Bruder vernünftigerweise seine parteipolitische Einstellung nicht kundtun, ein Konflikt ist also praktisch ausgeschlossen. – Die Liste von Freimaurern in politischen Führungspositionen, die als solche häufig erst nach Ihrem Tode als Brüder bekannt werden, ist lang, angefangen von einer ganzen Reihe von Bundesräten über eine Vielzahl amerikanischer Präsidenten bis zu Friedrich dem Grossen, Cavour, Stresemann, Churchill, Benes, Neru, Fred Sinowatz oder Helmut Zilk. Darunter sind auch schillernde Köpfe wie Hitlers Minister Schacht oder Tschiang Kaishek, die man nicht zum vorneherein unserem Bund zuordnen möchte.
  2. Die Logen veranstalten öffentliche oder halböffentliche Anlässe über aktuelle gesellschaftliche Themen, die in aller Regel einen politischen Bezug aufweisen (z.B. die Loge Akazia mit «Ethik in der Wirtschaft», «Nahostkonflikt»). Parteipolitische Aspekte können dabei durchaus eine Rolle spielen, werden aber durch die Abstraktion der thematischen Behandlung oder die räumliche und zeitliche Distanz entschärft.
  3. Die Freimaurerei ehrt oder unterstützt Persönlichkeiten oder Institutionen, die in irgendeiner Form dazu beitragen, freimaurerische Ziele zu erreichen (z.B. den Jonas- Furrer-Preis oder Empfänger des Almosens). – Parteipolitische Implikationen sind bei strikter Beachtung des notwendigen Augenmasses kein Thema.
  4. Die Freimaurerei, z.B. die Zürcher Logen oder die Grossloge Alpina, könnte sich künftig auch zu aktuellen politischen Auseinandersetzungen äussern, z.B. zum Kirchenasyl; hier wären zweifellos interne Dispute zu erwarten, der Logenfrieden wäre akut gefährdet!

Möglichkeiten und Grenzen

Anderseits interpretieren wir Freimaurer die Einschränkungen häufig zu eng und angesichts unserer eigenen Masstäbe auch falsch: Es geht um Politik und nicht um Parteipolitik, und unsere Ziele sind politisch und nicht (mehr) parteipolitisch: Wir setzen uns für Brüderlichkeit, soziale Gerechtigkeit, die Grundrechte und die Würde aller Menschen ein! Jeder an seinem Platz, mit seinen Möglichkeiten! Das ist keine Parteipolitik, meine lieben Brüder, sondern unser Auftrag! Wenn wir uns der Durchsetzung dieser Anliegen verschliessen, so bleibt alles – ich zitiere einen Bruder unserer Loge – „nur ethisch-moralisches Getue – ein potjemkinsches Dorf – viel Fassade und kein Wohnraum“! Der Meister vom Stuhl der Loge „Zur Brudertreue“ im Orient von Aarau schreibt es so: „Was ist die Freimaurerei wert, wenn es (bei der Lehre bleibt)? Was nützt der ganzen Welt ein tolles Lehrgebäude, wenn es leer ist, wenn es hohl bleibt und nicht von Menschen, von Freimaurern belebt wird und die wertvollen Ideen umgesetzt werden?“ Aber wir müssen natürlich behutsam sein: Wir dürfen nicht in politischen Aktivismus verfallen und zu allem und jedem unsere Ratschläge erteilen, profaner: unseren „Senf dazugeben“ – ich fahre profan fort: „Wer zu allem seinen Senf gibt, darf sich nicht wundern, wenn er als Würstchen betrachtet wird!“. – Ich empfand es zum Beispiel als peinlich, als die Grossloge Alpina nach der Tsunami-Katastrophe im Dezember 2004 auch noch zu einer schlussendlich bescheiden endenden Sammelaktion aufgerufen hatte, nachdem öffentliche und private Gelder in ausserordentlichem Ausmass geflossen waren. Wir dürfen auch nicht, vor allem nicht!, die Sehnsucht von Brüdern mutwillig zerstören, die einer eher in sich gekehrten, ganz persönlichen, privaten Freimaurerei angehören wollen, die sich nur in unserer Kette abspielt! (Am letzten Johanni meinte ein Bruder, er decke, wenn man weiterhin öffentliche Veranstaltungen durchführe oder gar Frauen den Zugang ermögliche.) Respekt vor den Brüdern, vor uns Brüdern ist unabdingbar! Oder eine andere Stimme: «Beschränken, aber intensivieren wir doch …lieber unseren Einfluss auf uns selber und unsere unmittelbare Umgebung. … Erheben wir keinen elitären Anspruch auf Einfluss und Gesellschaftspolitik, sondern begnügen wir uns mit der bescheidenen, aber sehr wichtigen Rolle von Hütern der inneren Flamme» (Pierre Zollikofer, Aurora Humaniatis, ALPINA 8-9/2008). Wir müssen beides pflegen, das Aussen und das Innen. Überlassen wir dem einzelnen Bruder die Entscheidung, ob er nur nach innen – für sich, für die Bauhütte – oder nach aussen wirken möchte, oder auf beide Seiten. Die Freimaurerei gibt jedem Bruder das Recht und die Pflicht, das Lehrgebäude, insbesondere die Rituale und die Symbole, nach eigenem Gutdünken, d.h. eben vor allem auch nach eigenem Gewissen zu inter-pretieren – umso mehr ist er doch auch befugt, über die formale Ausgestaltung seiner Mitgliedschaft zu entscheiden! Stille Beschäftigung bedeutet nicht Gleichgültigkeit und Beliebigkeit, lauthalse Umtriebigkeit ebensowenig ehrliches Engagement! Vielmehr würden elitärer Dünkel und bornierte Rechthaberei unvereinbar sein mit der freimaurerischen Seele; und natürlich innere und äussere Teilnahmslosigkeit über das Elend, die Missachtung der Menschenwürde, mit der Respektlosigkeit gegenüber den Menschen und der Natur! Und wenn wir uns die Ursachen von Spannungen in Erinnerung rufen, dann waren es beileibe nicht fehlendes oder überbordendes politisches Engagement, sondern unsere menschlichen Unzulänglichkeiten! Ihr werdet nun vielleicht denken, dass damit alles beim Alten bleibt; vorallem jene Brüder, die ein verstärktes oder überhaupt ein politisches Engagement der Freimaurerei oder der Freimaurer wünschen oder fordern, werden wohl enttäuscht sein. Aber unser Ziel muss sein und bleiben, dass sich unsere individuelle Arbeit am rauhen Stein, eingebettet in die Bruderschaft, konsequent und immerwährend zum Wohle der Menschheit auswirkt, was nur möglich ist, wenn wir unseren individuellen Weg finden, ausbauen und gehen können!