Abbild und Symbol

Ein einzigartiges Modell des Salomonischen Tempels in Hamburg

Als grösstes erhaltenes, aus Holz gearbeitetes Architekturmodell eines einzelnen Gebäudekomplexes ist das Hamburger Modell des Salomonischen Tempels heute von einzigartiger Bedeutung für die Kunstgeschichte einerseits, aber auch für die Erforschung kultur- und geistesgeschichtlicher, sowie religionsgeschichtlicher Zusammenhänge der Barockzeit andererseits.

A. M. (Schweizer Freimaurer-Rundschau: April 2004)

Eine Reise nach Hamburg lohnt sich immer wieder. Hamburg ist eine kulturell interessante Stadt mit vielen zum Teil versteckten Sehenswürdigkeiten. Eine davon ist das Modell des Salomonischen Tempels im Museum für Hamburgische Geschichte. Dieses Modell aus der Barockzeit, das im Auftrag von Gerhard Schott ausgeführt worden ist, bildet ein einzigartiges Kunstwerk, das allein eine Reise wert ist.

Die Ausmasse dieses Modells sind beeindruckend. Die Vierflügelanlage ruht auf einem quadratischen Grundriss von rund 3,5 x 3,5 m. Jeweils zwei Querflügel unterteilen die Fläche in neun quadratische Binnenhöfe. Nur zur Rückseite hin, der biblischen Orientierung gemäss nach Westen zu, sind die beiden Höfe der Mittelachse zu einer Einheit zusammengefasst, da hier der Quertrakt unterbrochen ist. In diesem grösseren, längsrechteckigen Hof steht das eigentliche Tempelgebäude, gestaltet wie eine aufgedoppelte Basilika, vor der im Osten querrechteckig zum übrigen Gebäudeteil, turmartig die dreistöckige Ostfassade aufgeführt ist.

Das Innere des Tempelgebäudes ist entsprechend den biblischen Angaben genau ausgeführt und teilt sich in «Ulam», den Vorhof im Fassadenturm, «Hekal», den Hauptraum für den Gottesdienst mit Altar und Leuchter, und «Debir», das Allerheiligste, in dem die Bundeslade und die Cherubim aufgestellt sind. Die Portale zum «Hekal» und das Allerheiligste sind wie die bewegliche Ausstattung vergoldet und teilweise mit farbigen Edelsteinattrappen besetzt.

Die übrigen Gebäudeteile sind mit jeweils drei Geschossen aufgeführt, deren Höhe nach oben zu abnimmt. Wie am eigentlichen Tempel sind auch ihre Fassaden nach der korinthischen Ordnung gegliedert, am Tempel durch kannelierte Pilaster, sonst durch Halbsäulen, jeweils mit korinthischen oder kompositen Kapitellen. Die Untergeschosse sind zu den Höfen hin als Rundbogenarkaden angelegt. Als Reliefs umrahmen Palmenzweigen, Girlanden und Festons die mit Gittern besetzten rechteckigen und runden Fenster. An den äusseren Ecken sowie an den Kreuzungen der Gebäudeflügel werden die italienischen Satteldächer durch quadratische pavillonartige Aufbauten unterbrochen, die von kleinen Laternen bekrönt sind. Auch die Mittelteile der Flügel mit den äusseren und inneren Toren tragen kleine Dachpavillons.

Der Erbauer des Modells ruinierte sich finanziell

Erbaut wurde das einzigartige Modell zwischen 1680 und 1692 im Auftrag des Hamburger Juristen und späteren Ratsherrn Gerhard Schott. Als Sohn eines Weinhändlers 1641 in Hamburg geboren, studierte Schott in Helmstedt, Heidelberg und Basel Jura und liess sich nach einer ausgedehnten Reise durch Frankreich, Deutschland, Holland und Schweden als Advokat in seiner Heimatstadt nieder, wo er durch seine Heirat mit Anna Caecilia von Spreckelsen vielfältige Verbindungen zu den führenden Schichten knüpfte. 1677 war er der Hauptbegründer der ersten deutschen Bürgeroper in Hamburg, in deren Räumen seit 1692 das dann nie vollendete Tempelmodell – anlässlich der Aufführung der Conradischen Oper «Die Zerstörung Jerusalems» – gezeigt wurde, doch war es nicht als Bühnendekoration gedacht. Was Schott, der 1702 starb, wirklich bewogen hat, das aufwendige Modell, das ihn vermutlich über 16’000 Mark damaliger Währung gekostet hat, anfertigen zu lassen, blieb schon für seine Umgebung kaum verständlich. Am Modell selbst hatten die besten Handwerker und Künstler der damaligen Zeit gearbeitet. Schott selbst hat praktisch sein ganzes Vermögen in dieses Modell gesteckt. Sein Interesse für alle geistigen Strömungen seiner Epoche ist vielleicht eine Erklärung für seine Motivation. Die Beschäftigung mit der Rekonstruktion des Salomonischen Tempels war für die barocke Welt weit mehr als eine geistige Spielerei.

Überlieferung und bildliche Darstellung

Im Alten Testament finden sich an drei Stellen eingehende Beschreibungen des Tempels zu Jerusalem: im 1. Buch der Könige im 6. und 7. Kapitel, in denen der Bau des Tempels und der königlichen Paläste durch Salomo geschildert wird und deren Abfassung vermutlich auf zeitgenössische Berichte zurückgeht, also als authentisch angesehen werden darf. In der darauf fussenden Darstellung desselben Geschehens im 2. Buch der Chronik im 2 – 4. Kapitel, das wahrscheinlich jedoch erst nach 400 v. Chr. entstanden ist, als der Salomonische Tempel schon gar nicht mehr existierte, und schliesslich in der Vision des Propheten Ezechiel im 40. bis 43. Kapitel, die wohl in der Zeit des Babylonischen Exils niedergeschrieben worden sind, nachdem Nebukadnezar 586 v. Chr. den Tempel völlig zerstört hatte. Doch dürfte der Verfasser den Salomonischen Tempel aus den letzten Jahren vor der Vernichtung noch gekannt haben und ihn seinen Vorstellungen von der künftig wieder erstehenden Herrlichkeit zugrunde gelegt haben. Auf Ezechiels Beschreibung des Tempels geht denn auch die Schilderung des Himmlischen Jerusalem durch Johannes in der Offenbarung, Kapitel 21, im Neuen Testament zurück. Aber dieses neue Jerusalem braucht kein besonderes Tempelgebäude mehr; es ist selbst als Ganzes ein Tempel.

Für die Juden, wie auch später für die Christen, war der Tempel Salomons ein Bau im göttlichen Auftrag, der genau nach Gottes Anweisungen und Massregeln ausgeführt wurde, in Grundriss und Portionen also einem Bauplan Gottes folgte, und damit die höchste irdische Vollendung der Architektur bedeutete.

Die Entwürfe zu dem Bau waren nach der Überlieferung im 1. Buch der Chronik, Kapitel 28, David von Gott eingegeben worden, und der König gab sie an seinen Sohn und Nachfolger Salomo weiter. Diese Sätze stehen allerdings nicht in dem älteren Buch der Könige, sondern sind vermutlich als Parallele zu der in Priesterkreisen um 600 v. Chr. niedergeschriebenen Erzählung vom Bau der Stiftshütte durch Moses (2. Buch Moses, Kapitel 25-27) entstanden, die ebenfalls nach den Vorschriften Gottes errichtet worden war.

Die Geschichte des Tempelberges

Der von König Salomo 964 v. Chr. begonnene Tempelbau war mehr als ein Kultzentrum, sondern schon für die Juden vor dem babylonischen Exil sichtbarer Ausdruck göttlicher Ordnung. An dieser Stelle sollte Abraham seinen liebsten Sohn Isaak auf einem Altar als Brandopfer darbringen. Als er sich anschickte, seinen Sohn zu töten, vernahm er die Stimme des Erzengels Michael, der ihm im Auftrag Gottes mitteilte, er möge Isaak am Leben lassen. Die Opfertat sei bereits durch den bekundeten Willen erfüllt. Abraham war erleichtert und fing als Ersatz einen herumlaufenden Widder ein, den er Gott darbrachte.

Nach der Zerstörung des Tempels im Jahre 586 v. Chr. erhielt er erst recht geistige Bedeutung. Als der Perserkönig Kyros dann 538 den Juden die Rückkehr nach Jerusalem erlaubte, begannen sie unter Serubbabel 520 v. Chr. mit der Wiedererrichtung des Tempels nach dem Salomonischen Vorbild, jedoch in kleineren Dimensionen. Erst der Idumäer-König Herodes entschloss sich, zum Teil auch aus politischen Gründen, um sich als echter Nachfolger der Davidschen Dynastie zu erweisen, zum Ausbau in grossartigen Dimensionen. Von 20 v. Chr. bis etwa 30 n. Chr. wurde an der Tempelanlage auf dem Berge Moria gebaut. Doch schon vierzig Jahre später standen hier nach der Zerstörung des Tempels durch die Römer unter dem späteren Kaiser Titus nur noch Reste der Umfassungsmauern.

Wie die historischen Tempelbauten auf dem Berg inmitten des heutigen Jerusalem tatsächlich ausgesehen haben, ist trotz aller archäologischen Bemühungen bis heute nicht in allen Einzelheiten geklärt. Erschwert wird die Grabungsforschung auf dem Tempelberg ausser durch religiöse Tabus der Juden dadurch, dass die Plattform des Berges nach der Einnahme Jerusalems durch die Araber 638 nach Chr. auch muslimisches Heiligtum wurde, entsprechend der im 1. Vers der 17. Sure des Korans geschilderten visionären Reise Mohammeds, der von diesem Platz aus über eine magische Leiter zu den sieben Himmeln aufstieg. Die Abdrücke der Hufe des weissen Pferdes von Mohammed sind heute noch im Felsen eingeprägt. 691 nach Chr. wurde der Felsendom vollendet, dessen Mittelpunkt das Felsenfundament, mit höchster Wahrscheinlichkeit als die Stelle des Allerheiligsten der jüdischen Tempelbauten identifiziert werden konnte.

Vorbild: das Modell des Jesuitenpaters Villalpando

Von 1596 – 1605 erschien in Rom das zweibändige, reich illustrierte Werk «In Ezechielem Explanationes et Apparatus Vrbis ac Templi Hierosolymitani Commentariis et Imaginibus Illustratus», verfasst von den beiden spanischen Jesuiten Hieronymo Prado und Juan Bautista Villalpando. Der zweite Band war allein Villalpandos Werk und er enthielt einen Rekonstruktionsversuch des Tempels und der Tempelgeräte. Die Vision des Ezechiel wurde von Villalpando ohne Einschränkung als Beschreibung des alten Salomonischen Tempels angesehen und die dortigen Massangaben zur Grundlage der Rekonstruktion genommen.

Villalpando hatte mit seiner Darstellung wie kein anderer vor und neben ihm für die christliche Welt des Barocks alles symbolische, theologische und kunsttheoretische Gedankengut um den Tempel zusammengefasst. Der Wiener Architekt Johann Bernhard Fischer von Erlach, der den Salomonischen Tempel an den Anfang seines 1721 erschienenen «Entwurfs einer historischen Architektur» gestellt hatte, verliess sich ganz auf die Angaben von Villalpando. Das Architekturmodell von Hamburg stützt sich voll auf die Massangaben von Villalpando. Das Modell ist im Massstab 1:500 ausgeführt.

Die Ordnung Gottes im Chaos der Welt

Zwei Gedanken aus Villalpandos Rekonstruktionsversuch, die auch im Hamburger Modell Eingang gefunden haben, haben die Architektur des Barocks beeinflusst. Der quadratische Grundriss und seine Überlegungen zum Säulenschmuck. Der quadratische Grundriss übertrug sich auch auf verschiedene Klosterbauten aus dieser Zeit. Der Tempel in Jerusalem war der Sitz der Weisheit und der Lehre, der Ort für Rechtsprechung und Verwaltung; Funktionen, die im Idealfall das Rathaus für die Bürger einer städtischen Republik verkörpern. Dieser Gedanke dürfte bei Schotts Tempelidee auch eine Rolle gespielt haben.

Zu der göttlichen Ordnung des Quadrates gesellte sich die, ebenfalls nach Gottes Anweisung errichtete «salomonische Säule», die in Wirklichkeit eine abgewandelte korinthische war.

Seit Plato hatte das Abendland eine von Gott gefügte mathematisch-harmonische Ordnung, die Himmel und Erde verband, seinem Denken zugrunde gelegt. Schotts Modell, in einem Hamburg voll umstürzlerischer politischer Ereignisse entstanden, bildete gleichsam einen Höhe-, aber auch den Endpunkt des Glaubens an die Harmonie aller Dinge. Kommende Generationen würden sich auf andere Ordnungsprinzipien berufen. Die Idee einer göttlichen Ordnung, die sich in der irdischen Welt verwirklichen liesse, wie sie das Hamburger Tempelmodell symbolhaft vorstellt, blieb die unerfüllbare Sehnsucht einer wirren, freudlosen Zeit.