Was wäre wenn es die Freimaurerei nicht gäbe?

Da wird uns eine Frage gestellt – eine von hunderten, die täglich an uns gestellt werden. Jedenfalls ist sie keine Frage, die sich so leicht aufs Nebengeleise schieben liesse. Dort würde sie uns noch mehr beunruhigen: „Was wäre wenn…“ Wir sind angesprochen: die Loge als Gemeinschaft und jeder einzelne Bruder!

A. B. – Humanitas in Libertate, St. Gallen Louis Ribaux 

Vorüberlegungen

Eine Frage ist schnell gestellt; Antworten dauern meist länger. Fragen ist ein Grundverhalten des Menschen. Wenn es heisst: „Im Anfang war das Wort“, ist es denkbar, dass das erste Wort eine Frage war? Wer fragte? An wen war diese erste Frage gerichtet? Laut der Schöpfungsgeschichte fragte der Schöpfer selbst Wo bist du, Adam? Es ist die Urfrage an den Menschen, und sie wird uns allen irgendwann und wiederholt gestellt: “In jeder Zeit ruft Gott jeden Menschen an: Wo bist du in deiner Welt? So viele Jahre und Tage von den dir zugemessenen sind vergangen, wie weit bist du derweilen in deiner Welt gekommen? (Martin Buber: Der Weg des Menschen…)
Dies, werdet ihr einwenden, mag für die ganz grossen, die existentiellen Fragen gültig sein, kaum aber für kleine Fragen des Alltags! – Ich antworte (mit einer Frage!): Geschieht auch das Grosse nicht auch im Kleinen, im JETZT? Und ich vermute: Jede noch so einfache profane Frage bezieht ein Fünkchen Kraft von den grossen Lebens-Fragen. Sie kann übrigens „harmlos“ daherkommen, ist es aber nicht unbedingt. Wer fragt, hat die Macht – auf jeder Ebene des Lebens (der irdischen, der gott-mensch-dialogischen, und der göttlichen).

Was kann eine Frage auslösen?

Eine Frage kann vielerlei bewirken: Hier einige wenige Beispiele.

  1. sie kann nachfragen – oft hartnäckig! So beispielsweise eine Volksbefragung. Diese Art der Nachfrage mag sich als „neutral“ geben, kann aber trotzdem auch politisch wirken. So kann eine Frage, wenn sie perfid und hartnäckig genug gestellt ist, den (ungeschriebenen, also auf dem Vertrauen eines Volkes basierenden) Gesellschaftsvertrag angreifen, seine Autorität untergraben. Die Frage kann also subversiv sein – dies oft auf unmerkliche Weise.
  2. durch Fragen soll ein unvollständiges Wissen ergänzt werden
  3. Fragen wollen Erinnerungen wecken
  4. Fragen wollen den/die Befragten zu einer Meinungsäusserung (und ev. Zu einer Verhaltensänderung) verlocken, sogar zwingen.
  5. Fragen sollen oder wollen den Befragten verunsichern, ihn aus seiner Selbstverständlichkeit „herausschupsen“, ihm den Schlaf des Gerechten rauben, zumindest stören.
  6. Fragen, auf die der Befragte keine Antwort findet, sind unangenehm, werden als unhöflich, beleidigend, als ungerecht eingestuft.
  7. Fragen wollen Erinnerungen zurückbringen.
  8. Unentbehrlich sind sie im Dialog zwischen Menschen. Da gehen Frage und Antwort hin und her. Dialog – Diskurs? Oder Disputation? – Das Dialogische Prinzip (Martin Buber)
  9. Frage und Antwort sind Geschwister (die sich bald verstehen, bald zanken)
  10. Daraus kann geschlossen werden: Fragen haben auch einen erzieherisch/ethischen Anspruch. Sie können den Befragten zu Einsichten hinlenken (die er meint, selbst gefunden zu haben), den Befragten sogar zu einem „guten Menschen“ machen (was ist ein guter Mensch in fm-Verständnis?)
  11. Fragen wollen – auch ganz profan – prüfen: Wissen, Fähigkeiten. Fähigkeitsausweis
  12. Fragen wollen schliesslich die geistige Haltung des Befragten überprüfen

Was wäre, wenn es die FM nicht gäbe?

Zunächst müsste man sich überlegen: Wer stellt die Frage? Die Grossloge, vertreten durch die Redaktion der Zeischrift Alpina“. Studienthemen bezwecken, die einzelnen Logen als Lebensgemeinschaften zu vertieftem Nachdenken über ein Thema aufzufordern, allenfalls an herrschenden „Meinungen“ und Selbstverständlichkeiten zu rütteln!

Ferner sollen die Ergebnisse und die Diskussionen innerhalb der einzelnen Loge mittels einer Publikation einem grösseren Bruderkreis zugänglich gemacht werden. (Zeitschrift ALPINA).

Die Frage „Was wäre, wenn NICHT wäre“ kann eigentlich nicht beantwortet werden. Man kann nicht etwas „beschreiben“, das NICHT ist, vor allem den Gedanken nicht verbieten, den gegenwärtigen Zustand der Welt zu bedenken; Denkverbote wirken nur bedingt: man erinnere sich an den „weissen Elefanten“, an den zu denken uns verboten ist…).

Hinter der Frage: „Was wäre, wenn…“ sind zwei verschiedene Annahmen zu vermuten:

  1. Es hat das hier zur Diskussion gestellte „Was wäre, wenn..“ überhaupt nie gegeben! Man müsste also den zur Diskussion gestellten Fakt erst noch erfinden.
  2. Die Institution, der wir hier nachforschen, hat es tatsächlich schon einmal gegeben.

Beide Annahmen fordern unsere Vorstellungskraft und Phantasie. Praktisch wählen wir Annahme 2: So können wir unsere eigenen Kenntnisse und Erfahrungen miteinbeziehen. Mit andern Worten: Wir tun als ob die FM erloschen sei, uns aber an einzelne Elemente noch erinnern. Diese einzelnen Bausteine gilt es zu sammeln. Der Auftrag lautet: Woher wir kommen, und wohin wir wollen.

Dies führt uns zu einem ersten Fragenkomplex: die Gründungsfundamente.

FM konnte sich dank einer speziellen geschichtlich/kulturellen Konstellation entwickeln: Das Zeitalter der Aufklärung (18. Jahrhundert). Die Reformbewegung erstrebte: „Wahrheit durch Klarheit“, vor allem des Verstandes. Klare Begriffe, gegen Verworrenheit des Denkens. Gegen Vorurteile, Fanatismus, Schwärmerei und Aberglauben sowie der Kampf gegen irrationale Meinungen. Kant: „Aufklärung ist Ausgang des Menschen aus selbstverschuldeter Unmündigkeit“. Selbstdenken (dürfen) ist die Maxime der Aufklärung; es geht aber auch um die Selbstbestimmung des Handelns. Die Ursachen der Aufklärung lagen unter anderem in einer Veränderung des gesellschaftlichen Verhaltens der Menschen (der Bürger), die in eine Volksbildung mündete, wo neue Eliten gegen alte (Adel) gegenübertraten sowie einer Veränderung des religiösen Verhaltens.
Dies führte zu einem wachsenden Selbstbewusstsein im Gefolge von Fortschritten (Technik, Naturwissenschaften, Medizin etc.)

Weitreichende Auswirkungen

In der Folge änderte sich auch die Einstellung zur Arbeit sowie der Charakter der Arbeit und der Arbeitsweisen. Wachsende Mobilität und Auswanderung schlossen sich an. Die Auflösung der engen Klassengesellschaft förderte und veränderte auch das Verständnis von Freundschaft. Es folgte das gesellige Jahrhundert. Auch im Bereich von Liebe und Sexualität vollzogen sich im Zuge der skizzierten Umwälzungen fundamentale Veränderungen.

Das Spezielle der FM – Einbezug der Symbolik

Im MIttelpunkt der maurerischen Erziehung steht die Balance von Gemüt (Herz) und kühler Vernunft (Fliessendgleichgewicht). Diese zu erreichen bezweckt die Initiation sowie die Erlebenskraft der Rituale und die Bruderschaft selbst: durch die Kombination von Verbindlichkeit und Geselligkeit

Die Loge selbst trachtet nach politischer Neutralität und Bildung: also Selbst- und Weiterbildung. Instrumente dazu sind umfassende Fachbibliotheken (Stiftung Bibliothca Masonica) sowie Teilhabe am kulturellen Leben (besonders Musik) Jede Bauhütte soll an eine Grossloge gebunden sein (Regularität), diese wiederum an die Grossloge von England. Ferner trachtet die Loge ebenso nach der Unterstützung von Mitmenschen.

Zusammenfassend könnte man die Frage stellen: Wenn die Freimaurerei ein Baum wäre, welches wären ihre wichtigsten Äste?

  • die Bruderschaft / Freundschaft?
  • die Initiation?
  • die geistigen Grundlagen?
  • die Rituale?
  • die Schönheit?

1. Fragenkreis

  1. Was braucht es, damit eine Freimaurerloge entstehen (und übeleben) kann? Welches sind die gesellschaftlichen, sozialen, geschichtlichen, geistigen Voraussetzungen?
  2. Diesbezügliche Gegebenheiten (und ev. Gefahren) der Gegenwart?
  3. Was wäre, wenn es uns nicht (nicht mehr) gäbe?

2. Fragenkreis

  1. Welches sind die spezifischen freimaurerischen Elemente, welche eine Loge haben sollte, wenn sie überleben will? Es geht also um die geistigen Bausteine einer Freimaurerloge
  2. Wie steht es damit heute in meiner eigenen Bauhütte?
  3. Was wäre, wenn es uns nicht (nicht mehr) gäbe?

3. Fragenkreis

  1. Was könnten wir tun, wenn es gilt, eine FM-Loge zu gründen? (d.h. sichvorstellen, es gäbe überhaupt keine FM, oder die FM sei am Erlöschen)
  2. Vergleich der Ideal-Ansprüche, welche die heutige Diskussion herausgearbeitet hat, mit der tatsächlichen Situation der FM bzw. unserer Loge.
  3. Haben wir konkrete Vorschläge? Gibt es Anträge an die Grossloge Alpina?

Im Zuge dieser vielfältigen Fragen kann eines sicherlich festgehalten werden: Auch wenn es die Freimaurerei explizit nicht (resp. nicht mehr) gäbe – Gleichgesinnte würden sich immer wieder auf irgend eine (andere) Weise finden. Sie würde vielleicht nicht Freimaurerei heissen, sondern einen anderen Namen tragen, aber der Geist der Aufklärung wird immerfort Bestand haben – in welcher Form auch immer.

An zweiter Stelle könnte man die Frage umformulieren und sich überlegen, was wäre, wenn es die Grossloge Alpina nicht (mehr) gäbe. Dazu ist zu sagen, dass jede einzelne Loge per se autonom und vollkommen ist. Das maurerische Leben spielt sich innerhalb der Bauhütte ab – und zwischen den einzelnen Logen. Eine direkte zwingende Notwendigkeit ist nicht gegeben. Sie ist eher formeller Natur (Regularität) sowie organisatorischer (Koordinations- und Kontrollfunktion). Gäbe es die Grossloge nicht, so würde der Koordinationsaufwand zwischen den Logen steigen und auch die Gefahr von Wildwuchs in den Logen könnte zunehmen. Doch im Kern des maurerischen Lebens und dem Arbeiten am eigenen rauhen Stein ändert dies nichts.

Bleibt zu guter Letzt die Frage: Wie stünde ich als einzelner Freimaurer da, wenn es die Freimaurer plötzlich nicht mehr gäbe? Was könnte ich unternehmen? Wie würde ich meinesgleichen finden? Antwort: Durch meine Worte und meine eigenen Taten.