Vom Gospel zur «Prince Hall»

Jazz, die Sache der Schwarzen und die Freimaurerei: Sie sind vielfältig miteinander verbunden. Wen könnte man sich da als Interviewpartner besser vorstellen als einen aus Afrika stammenden Freimaurer, der sich für Jazz begeistert? Br. J. ist in Burundi geboren und ehemaliger Stuhlmeister einer jurassischen Loge. Er schildert neben Bekannterem auch erstaunliche Fakten aus Geschichte und Gegenwart.

T. M.: Lieber Br. J., wir sprechen im Folgenden über den Zusammenhang von drei Dingen: der Sache der Schwarzen, der Freimaurerei und dem Jazz. Ich möchte diese zuerst einzeln erörtern. Wie sieht deine profane und maurerische Vita aus, insbesondere im Hinblick auf deine Hautfarbe?

J. N.: Ich wurde 1950 in Burundi geboren. Dort besuchte ich auch das Collège und lernte die griechische, römische und englische Philosophie kennen. 1969 kam ich nach Frankreich und machte eine Ausbildung in Sport und Physiotherapie. Ich hatte keine grosse Mühe, mich in der neuen Kultur zurechtzufinden. So konnte ich bereits Französisch. Eine Ausnahme war die allgegenwärtige Technik in den Städten. 1979 zog ich in die Schweiz und arbeitete in der Berner Klinik in Montana. 1981 machte ich mich als Physiotherapeut selbständig und lebe seither in Delémont.

Rassismus habe ich v. a. in Frankreich zu spüren bekommen. Ich war in vielen Bereichen der einzige Schwarze und damit stark exponiert. Frankreich hat – anders als die Schweiz – eine kolonialistische Vergangenheit, und das macht sich bis heute bemerkbar.

«Die Maurerei hat mir auch sehr geholfen, schwierige Situationen zu meistern.»

T. M.: Wie sieht dein maurerischer Weg aus? Gibt es auch hier Besonderheiten?

J. N.: 1979 wurde ich, noch in Frankreich, angefragt, ob ich einer Loge beitreten wolle. Ich tat das und fand manche Dinge wieder, die ich aus meiner Heimat kannte. Mein Vater hatte mich manchmal zu weisen Männern mitgenommen, und diese arbeiteten teils mit denselben Symbolen. In der Schweiz trat ich der Loge «Progrès et vérité» i. O. Bex bei und wechselte dann in den Jura, zur Bauhütte «La Tolérance» i\ O\ Porrentruy. 1993-1996 war ich hier Stuhlmeister – der erste Schwarze übrigens, der in der Schweiz dieses Amt versieht. Meine Brüder standen voll hinter mirDie Freimaurerei ist für mich sehr wichtig. Es ist auf dem persönlichen Weg viel nötig, bis man den Kern seiner Person erfasst hat. Von diesem muss man ausgehen. Ich schätze die Bruderschaft. Die Maurerei hat mir auch sehr geholfen, schwierige Situationen zu meistern.

T. M.: Und dein Verhältnis zum Jazz?

J. N.: Ich muss gestehen: Anfangs fand ich ihn schrecklich. Doch ich blieb hartnäckig und versuchte zu erfassen, was hinter ihm steht. Heute bin ich vom Jazz begeistert. Ich liebe seine Emotionalität und Spiritualität. Zudem sehe ich seine Wurzeln im Gospel, also in der Musik der schwarzen Sklaven, mit deren Schmerz und deren Hoffnungen. Vom Gospel kann man übergehen zum Blues mit seinen von den schwarzen Sklaven gesungenen „blue notes“, welche die Harmonie leicht destabilisieren und diesen Musikstil stark prägen. Die „blue notes“ waren Ausdruck ihres Leids.

Wir haben übrigens in Delémont eine reiche Jazz-Kultur mit Konzerten, an der ich rege teilnehme.

T. M.: Hast du auch einen Lieblingsstil und -musiker?

Ja, ich liebe Swing und Blues, und ich bewundere Ellington und Armstrong.

T. M.: Gehen wir über zum Zusammenhang zwischen dem Jazz und der Sache der Schwarzen. Welche Aspekte siehst du hier?

J. N.: Der Jazz ist eine Musik, die sehr viel zu tun hat mit dem Freiheitskampf der Sklaven. In der schwarzen Grossloge der USA, der „Prince Hall“, sind bis heute etliche Jazzmusiker vertreten. Oder man denke an die grossen Jazz-Legenden wie Louis Armstrong und Billy Holiday, Duke Ellington und Oscar Peterson. Solche Männer sind auch Botschafter im Hinblick auf die Sache der Schwarzen. Ja, sie sind Pioniere, Kämpfer, Vorbilder.

« Freimaurer haben im Zusammenhang mit der Befreiung der Schwarzen Grossartiges geleistet.»

T. M.: Welche Rolle spielt hier die Freimaurerei?

J. N.: Zum einen gibt es unter diesen Musikern zahlreiche Freimaurer. Zu diesen gehören Armstrong und Ellington ebenso wie Oscar Peterson, Lionel Hampton und W. C. Handy. Man denke auch an Count Basie und Nat Cole. Ellington war im 32. Grad, Hampton und Handy im 33.. – Zum anderen sollte man den Fokus breiter ansetzen. Freimaurer haben im Zusammenhang mit der Befreiung der Schwarzen Grossartiges geleistet. Es waren Brüder daran beteiligt, in der Organisation „underground rail road“ Schwarze zu verstecken und nach Kanada zu bringen. Diese konnten weder lesen noch schreiben, und so behalf man sich mit maurerischen Symbolen, die mitunter an afrikanische erinnerten. Ein anderes Beispiel betrifft die Ausbildung der Schwarzen. Man muss sich vor Augen halten, dass diese Menschen nach der Befreiung ohne jegliche Bildung dastanden – und dadurch keine Chance hatten, auf dem Arbeitsmarkt eine menschenwürdige Beschäftigung zu finden. Es gab nicht wenige Freimaurer, die sich hier einsetzten. Dabei ging es nicht nur um den Zugang zur Arbeitswelt. Es ging auch um eine Bildung des Herzens und der Moral. Erst mit solchen Voraussetzungen konnten die Schwarzen in der Gesellschaft mitwirken. Bis heute existiert in Atlanta die Booker T. Washington Highschool, die 1924 gegründet worden ist. Der Namenspatron hatte sich zusammen mit W. E. B. Dubois für dieses Anliegen eingesetzt. Washington gehörte wie Dubois zur Prince Hall. Botschafter der Menschlichkeit waren auch sie.

T. M.: Ein Blick in die Gegenwart: Ist man in der Sache der Schwarzen weitergekommen?

J. N.: Die Emanzipation und Integration der Schwarzen ist, v. a. dank der Bildung, vorangekommen. Es gibt diese Menschen auch in den höheren Gesellschaftsschichten. Doch das Ziel ist noch nicht erreicht. Wenn wir beim Stichwort «Integration» sind: Die «Prince Hall» nimmt mittlerweile auch weisse Brüder auf.