Johannes der Täufer, ein Vorläufer
«Im Anfang war das Wort, der Logos, und der Logos war bei Gott, und von Gottes Wesen war der Logos. Dieser war im Anfang bei Gott. Alles ist durch ihn geworden, und ohne ihn ist auch nicht eines geworden, das geworden ist. In ihm war Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht erfasst. Es trat ein Mensch auf, von Gott gesandt, sein Name war Johannes. Dieser kam zum Zeugnis, um Zeugnis abzulegen von dem Licht, damit alle durch ihn zum Glauben kämen. Nicht er war das Licht, sondern Zeugnis sollte er ablegen von dem Licht.» (Johannes, 1,1–8 )
Der Prolog ist gekennzeichnet durch eine transzendente kosmologische Vision. In dieser wird der Logos – Gott, der das Wort ist – offenbart wie das Licht, das Fleisch geworden ist und unter den Menschen wohnte. Hier führt Johannes der Evangelist einen Mann namens Johannes ein. Inmitten des Prologs verändert sich der Stil. Von einer kosmischen Sprache, geprägt von der Ewigkeit und vom Urbeginn, geht man über zu einem Menschen, Johannes, von dem man uns eingangs sagt, dass er ein Mensch gewesen sei, der nicht das Licht war und dass er von Gott gesandt wurde, um vom Licht Zeugnis abzulegen.
Mensch und Gottgesandter
Nie ist im vierten Evangelium vom Beinamen «Täufer» die Rede. Johannes wird beschrieben als einer, den Gott gesandt hat. Die ontologische Kluft zwischen dem Menschen Jesus (der das Licht und das Wort ist, das Fleisch geworden ist) und dem Menschen Johannes (der nicht das Licht ist) macht eine Unterscheidung deutlich, welche die grössere Kraft des Amts von Johannes hervorhebt. Die Zeugenschaft des Johannes lässt keinen Zweifel zu: Das Licht ist Jesus, aber es ist das Zeugnis eines Menschen, welches das Licht bestätigt und bejaht. Und diese Zeugenschaft, so das vierte Evangelium, verdient es, dass man an sie glaubt. Denn Johannes ist ein menschliches Wesen, das deutlich erklärt, dass es nicht das Licht ist und zu einem anderen Licht hinschaut, und es ist von Gott gesandt.
… nicht einmal würdig, «ihm den Schuhriemen zu lösen»
Johannes’ Rolle als Gottgesandter widerspiegelt sich in seinem Zeugnis. Von den religiösen Machthabern nach seiner Identität und seinem Amt befragt, sagt Johannes aus, nicht Christus zu sein und auch kein wichtiger Prophet. Vielmehr sei er eine Stimme, die in der Wüste ruft, um dem Licht und dem Wort, das kommen wird, den Weg zu bahnen. Wenn er die Taufe vollzieht – diesen öffentlichen Akt des Bewusstseins, der Veränderung, des Empfangens von Gnade und des demütigen Strebens nach Vergebung –, dann geht es nur darum, durch das Eintauchen ins Wasser die Macht Dessen vorwegzunehmen, der ihm in der Ewigkeit und im Urbeginn vorangeht, in der menschlichen Zeitlichkeit aber erst nach ihm kommt. Wenn er die Taufe vollzieht, so um aufzuzeigen, dass Er, der nach ihm kommt, grösser als er ist, ja dass er nicht einmal würdig ist, «ihm den Schuhriemen zu lösen» (Johannes, 1,27).
Vielgestaltiger Widerstand
Das vierte Evangelium schlägt eine unmissverständliche Begriffsklärung zwischen dem Vorläufer und dem Angekündigten vor. Johannes wird den Platz räumen, doch vorher erkennt er Jesus als das «Lamm Gottes» und erhält von Jesus die Bestätigung, dass das von den Propheten angekündigte Geschehen Tatsache geworden ist.
Die Evangelien unternehmen viele kleine Umwege, um die möglichen Rivalitäten zwischen der Bewegung des Meisters Jesus, der Schüler geworden ist, und jener des Schülers Johannes, der Meister geworden ist, nicht aufzeigen zu müssen. Es geht darum, den Menschen, der nicht das Licht ist, zu ersetzen und sich auf das Licht zu konzentrieren, das ein Mensch ist. Das vierte Evangelium wird gar eine Auslassung enthalten, indem es uns nicht direkt sagt, dass Jesus getauft wurde, sondern sich Zeit lässt, um uns darauf hinzuweisen, dass Jesus taufte (Johannes 3,22), und dann, um uns zu sagen, dass Jesus nicht taufte (Johannes 4,2). Es wird auf dem erhabenen und ewigen Wesen des Lichts beharrt, das Jesus verkörpert. Ja, es wird gesagt, dass Jesus das einzige wahrhafte Licht ist (Johannes 1,9), was keinen Zweifel aufkommen lässt im Hinblick auf eine offensichtliche ontologische Differenz zwischen dem Verkündeten und dem Vorläufer.
Aber das will für uns Menschen, die nicht das Licht sind, etwas bedeuten. Wenn das Licht leuchtet, weist der Zeuge jenen die Richtung, wo sich das Licht befindet, die es nicht schaffen, dieses wahrzunehmen und zu anerkennen. Diese Zurückweisung ist unterschiedlicher Art: entstanden aus engstirniger und rigider religiöser Überzeugung, die unfähig ist, die Lider der Gewissheit gegenüber der Herausforderung des Dialogs zu öffnen; entstanden aus einer moralischen Blindheit und Opposition, verbunden mit einem ethischen Dunkel, das sich weigert, sich auf den neusten Stand bringen zu lassen; entstanden aus rationalistischem Überschwang, der sich selbst davon überzeugt, im Besitz der Lichter zu sein, und so das Licht nicht erlangt; entstanden aus einer ethnischen oder kulturellen Arroganz, die sich als imperial sich ausbreitendes Strahlen versteht und sich weigert, sich durch die Vernunft und die Überlegungen der andern erleuchten zu lassen.
Die Verantwortung, Zeugnis abzulegen
Die Rebellion der Welt angesichts des ewigen Lichts, das vom Urbeginn an leuchtet, ist damit untrennbar verbunden mit der Intervention des Johannes, der, ohne das Licht zu sein, die soziale und historische Verantwortung erkennt, vom Licht Zeugnis abzulegen. Er wird damit, auch heute, ein Archetyp des Menschlichen, der eine Erinnerung, eine Intuition, einen Glauben, eine Offenbarung hat im Hinblick auf das Licht Gottes, das Fleisch geworden ist, der seinen Mund, seine Augen und seine Hände öffnet, um zu bestätigen, dass jede göttliche Offenbarung die Frucht einer Entwicklung und der zunehmenden Entdeckung einer Enthüllung ist: «Und ich kannte ihn nicht», sagt Johannes. «Aber der mich gesandt hatte, mit Wasser zu taufen, er sprach zu mir: Auf wen du den Geist herabkommen und auf ihm bleiben siehst, der ist es, der mit heiligem Geist tauft. Und gesehen habe ich, und Zeugnis abgelegt habe ich: Dieser ist der Sohn Gottes.» (Johannes 1,33–34) Johannes wandelt vor dem Licht. Weil das Licht kommt.
… ein Archetyp des Menschlichen, der eine Erinnerung, eine Intuition, einen Glauben, eine Offenbarung hat im Hinblick auf das Licht Gottes
Theologischer Beitrag von Pastor Pedro E. Carrasco, verfasst auf die Bitte eines Freunds und Gemeindemitglieds hin. Pastor Pedro E. Carrasco ist kein Freimaurer und unterhält auch keine Verbindungen zur Freimaurerei.
Alle Stellen sind nach der Zürcher Bibel zitiert. (Theologischer Verlag Zürich, 4. Aufl. 2013).