Herausforderung und Privileg
300 Jahre moderne Freimaurerei – ein Anlass zur Besinnung. Wer sind wir? Was wollen und können wir? Was ist unsere Bedeutung hier und heute, auch im Hinblick auf die profane Welt? Solche Überlegungen mögen nachdenklich stimmen. Doch sie zeigen auch auf: Die Königliche Kunst verdient ihren Namen.
Die Freimaurerei hat in den letzten drei Jahrhunderten unterschiedlichste Phasen durchlaufen. Sie hat Impulse empfangen, so z. B. aus der westlichen Esoterik. Sie hat aber auch Impulse gegeben. Man denke an die Gründung der USA, zu der Brüder massgeblich beigetragen haben.
Für Werte einstehen
Die Postmoderne hat zur Erosion von Werten geführt. Das «anything goes», der Vorrang der Wahrnehmung vor den Fakten, die Dekonstruktion hergebrachter Denk- und Lebensweisen zugunsten eines individuellen Mix: Sie alle machen die Menschen nicht glücklicher und die Welt nicht friedlicher. Freipass und kaum begrenzte Wahlmöglichkeiten können auch überfordern.
Eine Besinnung auf Werte tut not. Sie darf aber nicht zur Doktrin führen. Hier sind unsere masonischen Werte von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Toleranz und Humanität bestens geeignet. Sie geben nicht nur Leitlinien für das individuelle und kollektive Leben. In ihnen ist auch die Absage an das Doktrinäre im Kern enthalten. Das Handeln der Brüder ist und bleibt dabei das Zünglein an der Waage. Der deutsche Autor Gottfried Benn hat uns darauf hingewiesen: „Geh von deinen Beständen aus und nicht von deinen Parolen!“
In Zusammenhängen leben
Der Neophyt entdeckt Zusammenhänge, die auch nach vierzig Jahren zu faszinieren vermögen. Er steht in einer Bruderkette zeitlicher Art. Die Vergangenheit gilt es mit Respekt und Augenmass weiterzuführen. In der Gegenwart gilt es, Handlungsbedarf festzustellen, z. B. im Verhältnis zur Öffentlichkeit. Zudem verdient es die Bruderkette in der Loge, ernstgenommen und gefördert zu werden. Für die Zukunft gilt es, den Boden zu bereiten. Der Bruder steht zudem in einer Bruderkette räumlicher Art, die den Globus umspannt.
Die Aufnahme in den Bund gibt den Auftakt zu einem neuen Leben. Dabei sprechen die Symbole und Rituale Verstand, Gefühle und Spiritualität an und öffnen damit neue Zusammenhänge. Winkelmass, Zirkel, Senkblei und andere Instrumente sind praktische Werkzeuge für unser Denken und Verhalten. Das Grossartige an ihnen ist, dass sie komplexe Dinge auf einen einfachen, aber nie simplifizierenden Nenner bringen.
Arbeiten und dienen
Die Freimaurerei ist eine Lebenskunst. Sie lehrt, Polaritäten fruchtbar zu machen. So beruht sie stark auf dem gesprochenen Wort, zugleich aber spielt das Schweigen eine wichtige Rolle. Manche Brüder sind ausgeprägte Individualisten, zugleich aber gilt es, sich ein- und unterzuordnen. Wir bilden eine Bruderschaft, doch es ist am Einzelnen, seinen Stein zu behauen. Jedem Logenmitglied steht eine persönliche Auffassung der Maurerei zu, diese sollte sich aber innerhalb bestimmter Leitplanken bewegen. Toleranz ist von grosser Bedeutung. Sie muss aber, um ihren Namen zu verdienen, auch Grenzen haben.
Freimaurer sein bedeutet nicht zuletzt: Arbeiten und Dienen. Jeder Grad stellt seine spezifische Aufgabe: Schau in dich – schau um dich – schau über dich. Das fordert. Es ist zugleich ein Privileg, sein Leben im Zeichen der Königlichen Kunst zu führen. Auch – oder erst recht – nach 300 Jahren. T. M.