Der Alte und Angenommene Schottische Ritus und die Templerlegende
Sie waren Mönche und Waffenbrüder in einem: die Tempelritter. Es wird ihnen ein Ehrenkodex zugeschrieben, der noch heute fasziniert. Auch im Alten und Angenommenen Schottischen Ritus (A.A.S.R.) spielen sie eine Rolle. Sind die historischen Verhältnisse nicht einfach zu fassen, so bedeuten diese mittelalterlichen Männer viel auf der symbolischen und spirituellen Ebene – und letztlich in deren konkreter Anwendung.
Um die mittelalterlichen Tempelritter ranken sich unzählige Legenden. Historisch belegt ist die Gründung ihrer Obödienz im Jahr 1118 in Jerusalem im Kontext der Kreuzzüge. Neun französische Ritter gelobten dem Patriarchen von Jerusalem Keuschheit, Armut und Gehorsam. Zudem verpflichteten sie sich, die Wallfahrer zwischen der Küste und den heiligen Orten zu schützen. Daraus ergab sich eine komplett neue Kombination von Religion und Militär. Aus den «armen Brüdern Christi vom Tempel zu Jerusalem » entwickelte sich eine grossräumig agierende, nicht zuletzt dank den von den Päpsten gewährten Privilegien monetär sehr erfolgreiche Organisation.
Vom Scheiterhaufen zur Saga
Der französische König Philipp der Schöne, selbst Schuldner beim Orden, brachte Gerüchte in Umlauf wie die, dass die Tempelritter während Aufnahmeritualen den Kandidaten auf das Kreuz urinieren und das Hinterteil anderer Ritter küssen liessen. Die von Barbara Frale 2001 im Chinon- Pergament gefundenen Befragungsprotokolle scheinen das mehr oder weniger zu belegen. In einer orchestrierten Aktion liess Philipp am 13. Oktober 1307 in ganz Frankreich Templer verhaften. Jacques de Molay, der letzte Grossmeister, wurde nach schwerer Folter wie viele seiner Brüder 1314 in Paris verbrannt. Hier setzt eine Saga ein, die bis heute ihre Auswirkungen hat – und das auch in der Freimaurerei. Die Königliche Kunst soll aus den Reihen von überlebenden Tempelrittern hervorgegangen sein, die sich nach Schottland eingeschifft hätten. Der Name Rosslyn wurde und wird bis heute damit verbunden. Andrew Michael Ramsay präsentierte die These 1737 in Paris. Es wurde die Meinung laut, Jacques de Molay habe den Wunsch geäussert, dass die Templer in Schottland die Freimaurerei gründeten.
Der fantasievolle Reichsfreiherr
Der weitaus einflussreichste Mann in diesen Fragen war Karl Gotthelf, Reichsfreiherr von Hund, Begründer der «Strikten Observanz». Diese übte ab Mitte des 18. Jahrhunderts einen starken Einfluss auf die europäische Maurerei aus, namentlich in den Hochgraden. Von Hund verbreitete, er habe die Weihen eines alten, noch immer in Schottland existierenden Templerordens empfangen und sei zum «Heermeister (Provinzial-Grossmeister) der VII. Ordensprovinz» (Deutschland) ernannt worden.
Von Hunds Ziel war es, den sagenumwobenen Schatz der Templer in den Besitz der Freimaurer überzuführen. Er sorgte dafür, dass alle Logenbrüder hochtrabende und wohlklingende Namen der Tempelritter bekamen. Zudem versprach er, dass die Freimaurer die Ländereien und die damit verbundenen Pachteinnahmen erhalten sollten.
Vieles ist unklar
Ein nüchterner Blick in die Historie irritiert. So heisst es in Bd. I des «Schweizerischen Handbuchs des Freimaurers»: «Die Art und Weise, wie die Templerlegende in die FM eingedrungen ist, bleibt von Geheimnissen umgeben. Weder die operative Tradition in England noch Désaguliers und Anderson im historischen Teil der Konstitutionen, noch der Ritter Andrew Michael Ramsay in seiner Rede machen Anspielungen darauf.»
Im Hinblick auf den A.A.S.R. heisst es weiter: «Die Hochgrade des A.A.S.R und namentlich der 30. Grad räumen dem Orden des Tempels einen wichtigen Platz ein. Für einige Brüder Ritter sei in Frankreich 1688 ein Templersystem in Erscheinung getreten. Es sei durch Jacques II., König von England, der in diesem Jahr nach Frankreich geflüchtet ist, eingeführt worden (…).»
Etwas Licht bringt das Buch von John J. Robinson «Im Blut geboren» in die Sache. Er schafft über geschichtliche Fakten Verbindungen von den angeblich nach Grossbritannien geflüchteten Tempelherren über die Bauernkriege im Süden des Landes zu den Logengründungen im 17. und 18. Jahrhundert.
Historische Wahrheit kontra Legende
Im 18. Grad des A.A.S.R., der sich auf die Rosenkreuzer bezieht, ist Jacques de Molay eine zentrale Gestalt. Entgegen seiner Idealisierung dürfte dieser oft zu sehr in einem Schwarz-Weiss-Muster dargestellt werden. Ihn als den Guten und Philipp den Schönen als den Schlechten zu bezeichnen, dürfte zu einfach sein und nicht der Realität entsprechen. Zudem wird de Molay kein Stratege, sondern ein Soldatenführer gewesen sein, der auch die Aussichtslosigkeit der christlichen Sache nach dem Fall von Akkon 1291 nicht begriffen hatte. Auch wird er die Brücken nicht erkannt haben, die ihm der Papst gebaut hatte, damit de Molay dem Scheiterhaufen entginge.
Freilich wäre es voreilig, aus dem Grossmeister eine Unfigur zu machen. Zudem gibt es neben der Ebene der historischen Wahrheit und der heute auf sie angewandten «Dekonstruktion» auch eine spirituelle und symbolische. Die Legende hat in diesem Sinn durchaus ihre Daseinsberechtigung.
Ein zentrales Symbol im A.A.S.R. ist das Schwert. In diesem Hochgradsystem geht es um das Handeln nach aussen, nicht zuletzt um die Verteidigung der Gesellschaft, um die samariterähnliche Realisierung der Nächstenliebe und die Bewahrung und Durchsetzung von Menschenwürde und Menschenrechten. Der Tempelritter, der sich während der Kreuzzüge seiner Waffe bediente und (Stichwort Dekonstruktion) auch der Kriegsverbrechen schuldig machte, hat in diesem Zusammenhang nichts zu suchen – erst recht kein «heiliger Krieg».
Rittertugenden und Christentum
Die Rittertugenden im A.A.S.R. umfassen, wenn man eine um 1400 entstandene Schrift im Zusammenhang mit der Artussage anwendet, u. a. Edelmut und «unbegrenzte Nächstenliebe», Reinheit, «Höfischkeit » und «grenzenloses Mitleid».
Die Verbindung des A.A.S.R. zum Christentum kann nur als Symbol gesehen werden, das in einem der bearbeiteten Grade eine zentrale Stellung einnimmt, in anderen (Zwischen-) Graden aber konsequenterweise dann wieder ohne besondere Position bleibt. Die schottischen Hochgrade sind wie die Johannismaurerei eine undogmatische Lebensschule. T. M.